GK0129 - Das Phantom von Soho
klaren Gedanken zu fassen.
John Sinclair tot? das war unmöglich, das durfte einfach nicht sein. Powell nahm die Brille ab und wischte sich über die Augen. Doch plötzlich zuckte er zusammen.
John Sinclairs Augendeckel hatten sich bewegt.
»Doc«, rief Powell. »Sinclair lebt!«
Der Doktor, der gerade die Spritze fertig hatte, drehte sich um. »Was sagen Sie da?«
»Zum Teufel, seine Augenlider haben geflattert. Sagen Sie dem Fahrer Bescheid. Sofort in die Uniklinik. Ich werde die besten Spezialisten mobil machen, die es gibt. Wenn mich nicht alles täuscht, ist da eine ungeheure Schweinerei passiert.«
***
Das Haus, in dem Sir William Mansing wohnte, hatte ihm der Staat zur Verfügung gestellt. Es war schon vor 20 Jahren gebaut worden und lag in einer ruhigen Seitenstraße. In den anderen Häusern wohnten ebenfalls fast nur Staatsdiener, und so kam es, daß diese Straße im Volksmund nur Beamtenallee genannt wurde.
William Mansing war Junggeselle und hatte auch vor, es bis an sein Lebensende zu bleiben. Den Haushalt versorgte eine Aufwartefrau, und was sonst noch anfiel, konnte der Staatsanwalt allein bewältigen. Außer seinem Beruf hatte er noch ein Hobby: Er sammelte Münzen. Allerdings nur aus Europa.
Diesem Hobby frönte er schon 20 Jahre, und er galt unter den Numismatikern als anerkannter Fachmann.
Mansing fuhr einen dunklen Mercedes 250 SE. Der Wagen war schon acht Jahre alt, lief aber immer noch wie geschmiert.
Die kleine Straße war nicht vom Schnee geräumt worden, und aus diesem Grund glich die Fahrbahn schon mehr einer Rutschbahn. Entgegenkommenden Wagen auszuweichen, glich einem Glücksspiel.
Trotzdem schaffte William Mansing es, unbeschadet zu seinem Haus zu gelangen. Er fuhr den schmalen Weg zur Garage hin, stieg aus und öffnete das Tor. Mit quietschendem Geräusch klappte es hoch.
»Na, haben Sie es auch ohne Unfall geschafft?« rief William Mansing ein Nachbar zu, der einen leitenden Posten im Verkehrsamt hatte.
»Es ging gerade noch«, meinte Mansing und stieg wieder in seinen Wagen. Er mochte den Nachbar nicht besonders. Seiner Meinung nach gab er zuviel an.
Eine Minute später klappte Mansing das Garagentor wieder zu. Der neugierige Nachbar war zum Glück verschwunden.
Durch den kleinen Vorgarten ging Mansing auf die Haustür zu. Er holte den Schlüssel aus der Manteltasche und wollte ihn gerade ins Schloß führen, als er stutzte.
Wenn er nun schon im Haus auf dich lauert? sagte eine innere Stimme. »Quatsch«, knurrte Mansing, schüttelte den Kopf und schloß auf. Er machte Licht und zog seinen Mantel aus.
Der Flur war eng. Direkt neben der Tür führte eine schmale Treppe in die obere Etage.
Mansing ging in den Living-room, den er sich als Arbeitszimmer eingerichtet hatte. An der Wand tickte eine Uhr. Es war ein altes Modell aus der Schweiz, das Mansing für viel Geld erstanden hatte.
Automatisch fiel sein Blick auf das Zifferblatt.
19 Uhr war schon vorbei.
Also war der Oberinspektor auch nicht pünktlich. Mansing schob die Verspätung auf die schlechten Wetterverhältnisse. Er drehte die Heizung höher, goß sich einen dreistöckigen Whisky ein und ließ sich in seinen bequemen Ohrensessel fallen.
Die Zeit verging.
Still war es im Haus. Draußen fiel der Schnee in einem dichten, weißen Schleier. Geräusche wurden verschluckt, und Mansing kam sich vor wie in einem Traumland.
Langsam wurde der Staatsanwalt nervös. Nicht daß er Angst gehabt hätte, aber er hatte fest mit John Sinclairs Besuch gerechnet. Mansing trat an seinen Schreibtisch, zog die oberste linke Schublade auf und holte eine Pistole hervor.
Nachdenklich sah er auf die Waffe. Konnte sie ihn schützen?
Mansing ließ die Pistole in seiner Rocktasche verschwinden. Das Gewicht der Waffe zog die Jacke nach rechts.
Mansing stellte den Fernsehapparat an. Es liefen gerade die Nachrichten.
William Mansing zündete sich eine Zigarette an und nahm auch noch einen Schluck Whisky.
Die Nachrichten bekam er nur am Rande mit. Seine Gedanken kreisten um die folgende Nacht.
Doch plötzlich horchte Mansing auf. Der Sprecher griff gerade zu einem neuen Blatt und sagte: »Wie wir soeben erfahren haben, ist der bekannte Oberinspektor Sinclair von Scotland Yard einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Zeugenaussagen zufolge…«
William Mansing hörte die weiteren Worte nicht mehr. Die Zigarette war ihm aus den Fingern gefallen und verbrannte den teuren Teppich. Es interessierte Mansing nicht mehr. Denn plötzlich
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