GK0137 - Das Todeskabinett
Eltern da gewesen, die sie davon erlöst hatten. Es waren nur immer die anderen gewesen, die in schlimme Situationen geraten waren. Und auch in der Schule oder bei ihren Freunden hatte Janet alles leicht und sicher geschafft.
Aber in diesem Verlies herrschten ganz andere Voraussetzungen. Dieser Raum strahlte eine Bedrückung aus, daß Janet angst und bange wurde. Und – was noch schlimmer war – sie hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr allein zu sein.
Es war auf einmal über sie gekommen, und Janet merkte, wie sie am ganzen Körper zitterte.
»Hallo«, rief sie. »Ist hier jemand?«
Keine Antwort.
Janet schluckte. Sie hatte die Augen weit aufgerissen, starrte in die rabenschwarze Dunkelheit.
Das Mädchen ging ein paar Schritte vor, näherte sich der Mitte des Verlieses.
Und plötzlich stieß sie gegen etwas Weiches.
Janet zuckte zurück, ein eisiger Schreck durchrieselte ihren Körper, doch dann riß sie sich gewaltsam zusammen und untersuchte das Hindernis genauer, gegen das sie gelaufen war.
Janet ertastete ein Stück Holz. Es war ziemlich schmal und an den oberen Enden abgerundet.
Ein Stuhl! Ja, das ist es! Ich habe die Rückenlehne eines Stuhles erfaßt, dachte Janet.
Das Mädchen legte ihre rechte Hand auf die Oberkante der Lehne und ging um den Stuhl herum.
Und plötzlich hatte sie das Gefühl, ihr Herz würde stehenbleiben.
Auf dem Stuhl saß jemand!
Janet Sturgess spürte Stoff unter ihren Fingern, ein Jackett, ein Hemd.
Sie hatte jetzt auch die andere Hand zu Hilfe genommen. Fieberhaft fuhren die Finger über die Kleidung.
»Hallo«, sagte Janet. »Sagen Sie doch etwas. Hält man Sie hier auch gefangen?«
Keine Antwort.
In Janet keimte ein schrecklicher Gedanke. War sie vielleicht mit einem Toten zusammengesperrt worden?
Janet wollte es jetzt genau wissen. Sie beugte sich vor. Ihre Hände fuhren über die Schultern der Gestalt, erreichten den Hals…
Janet hielt den Atem an.
Sie fühlte die Haut unter ihren Fingerspitzen. Sie war kalt und erinnerte sie an Pergament. Sie fühlte deutlich das vorgestreckte Kinn, über das sich die Haut wie ein Papierbogen spannte. Strähnige Haare glitten über ihren Handrücken.
»So sagen Sie doch was!« schluchzte sie. Noch wollte sie die gräßliche Tatsache nicht wahrhaben.
Janets Hände glitten wieder den kalten Körper hinab, fühlten nach dem Herzschlag.
Nichts.
Und jetzt konnte auch Janet Sturgess die Augen vor den makabren Tatsachen nicht mehr verschließen.
Als ihr diese Erkenntnis bewußt wurde, stieß sie einen gellenden markerschütternden Angstschrei aus.
Sie war allein mit einem Toten!
***
John Sinclairs Argumente waren bei Inspektor Talbot doch auf fruchtbaren Boden gefallen. Mit Lydia und Emily Bradford schien einiges nicht zu stimmen. Anscheinend hatten die beiden Alten es faustdick hinter den Ohren.
Talbot blickte auf seine Uhr. In einer halben Stunde wollte sich Sinclair mit diesem Larry Harker treffen. Talbot dachte daran, daß er an diesem Tag noch keine ruhige Minute gehabt hatte. Er war noch nicht einmal dazu gekommen, etwas zu essen. Er hatte sich nur mit schwarzem, ungesüßtem Kaffee auf den Beinen gehalten. Zweimal hatte seine Frau angerufen, und Talbot hatte ihr nur immer wieder sagen können, sie solle das Essen warmhalten.
Sein Büro erinnerte ihn manchmal an eine Bahnhofshalle. Laufend kamen Beamte mit neuen Meldungen. Viele Einwohner wollten den Mörder angeblich kennen. Es gab reihenweise falsche Verdächtigungen und – was bald noch schlimmer war – die Beamten mußten jeder Spur nachgehen. Auf Talbots Schreibtisch stapelte sich der Papierkram, und der Inspektor ahnte schon, daß er auch in der nächsten Nacht kein Bett sehen würde.
Sicherheitshalber rief er seine Frau an.
Mrs. Talbot war natürlich nicht begeistert und fragte mal wieder, ob ihr Mann mit der Polizei verheiratet wäre. Talbot versicherte, daß es so schlimm nicht sei und legte dann auf.
Anschließend zündete er sich eine Pfeife an und sah für eine Minute den blaugrauen, aromatischen Rauchwolken nach.
Schließlich rief er Sergeant Tirey, seinen Stellvertreter, zu sich. Der Sergeant stand kurz vor der Pensionierung, hatte einen Bauch wie ein kleines Bierfaß und lustige kleine Augen.
»Sie übernehmen jetzt hier die Leitung, Sergeant«, sagte der Inspektor und legte seine Pfeife in den großen Aschenbecher. »Ich werde den Schwestern Bradford einen Besuch abstatten.«
Der Sergeant öffnete staunend seinen Mund. »Was wollen Sie
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