GK0144 - Die Todesgondel
nur noch um Minuten handeln. Und die Zeit mußte zu überbrücken sein.
Aber Mandra gab nicht auf.
»Hört nicht auf ihn!« kreischte er. »Er ist ein Sterblicher, und er kann nichts gegen den Goldenen Löwen unternehmen. Der Goldene Löwe ist stärker. Er hat das ewige Leben!«
John gab zu, daß diese Worte geschickt gewählt waren. Er sah, wie sich die Haltung der Männer spannte, wie sich die Chancen zugunsten Professor Mandras verteilten. John Sinclair warf einen raschen Blick zu seinen beiden Freunden hinüber. Ihre Gesichter waren angespannt. Tolini würde schießen.
Sekunden verrannen.
Da griff der Geisterjäger zum letzten Mittel. Noch einmal wandte er seine gesamte Überredungskunst auf.
»Ihr glaubt mir also nicht«, sagte er. »Gut, dann will ich euch beweisen, daß der Goldene Löwe ein Nichts ist. Daß er längst nicht unsterblich ist. Du da«, Johns linker Arm deutete auf einen der Fackelträger. »Gib mir deine Fackel!«
Der Mann zögerte.
»Na los, mach schon!«
Der Mann trat einige Schritte vor und reichte John die Fackel. Der Geisterjäger nahm sie in die linke freie Hand.
»Und jetzt seht genau her«, sagte er und wandte sich halb um, dem Goldenen Löwen zu. Erst jetzt bemerkte John die rollenden Augen in den Höhlen der Figur, spürte die dämonische Kraft, die davon ausging, und wandte den Blick ab.
Langsam führte er die Flamme der Fackel an die Figur. Totenstille hatte sich ausgebreitet. Jeder hielt den Atem an.
Die Flamme tanzte über die goldene Schicht, begann sie zu erwärmen.
Atemlos starrten die goldenen Masken zu Sinclair hoch. Augenblicke später ging ein Aufstöhnen durch die Anwesenden.
Das Metall begann zu schmelzen. Zuerst warf es Blasen, dann verformte es sich und fiel auseinander. Wie ein dicker goldener Strom rann es am Körper der Figur hinab dem Boden entgegen.
Während John Sinclair die heiße grüne Flamme an der Figur auf und ab gleiten ließ, hielt er mit der Pistole weiterhin Professor Mandra in Schach.
Mandra stand auf seinem Platz wie eine Statue. Er konnte es nicht fassen, daß der Goldene Löwe vor seiner endgültigen Vernichtung stand.
Haß, Wut, Angst und Verzweiflung spiegelten sich auf seinem hageren Gesicht, in dem die weiße Schminke wie bei einem schwitzenden Zirkusclown verlaufen war. Der Goldene Löwe sank zusammen. Das Gold schmolz weg, und für einen winzigen Augenblick sahen alle Anwesenden ein gräßliches, entstelltes Gesicht. Ein gellender, unmenschlicher Schrei jagte durch die Halle, steigerte sich zu einer schrillen Dissonanz und brach auf seinem Höhepunkt ab. Im selben Moment verschwand das Gesicht, wurde zu einem Totenschädel, der innerhalb der nächsten Sekunde zu Staub zerfiel, genau wie der unheilvolle Körper des schaurigen Dämons.
John Sinclair wandte sich um. Hoch schwenkte er die Fackel über den Kopf.
»Der Goldene Löwe ist nicht mehr!« rief er. »Für wen wollt ihr jetzt noch kämpfen?« Der Geisterjäger hatte die richtigen Worte gewählt. Die Männer senkten die Köpfe. Die Messer verschwanden, Masken wurden abgerissen und auf den Boden geworfen. Nur einer konnte nicht fassen, daß es zu Ende war. Professor Mandra!
Ein irrer Schrei stieg plötzlich aus seiner Kehle. Aus dem Stand warf Mandra sich vor, fiel zu Boden und riß den zweischneidigen Dolch an sich.
»Ich folge dir, o Doge der Finsternis!« schrie er, und ehe einer der Anwesenden es verhindern konnte, stieß er sich selbst den Dolch bis zum Heft in die Brust. Ein letztes Zucken ging noch durch seinen Körper, dann lag er still.
Die goldenen Masken standen noch unter dem Schock der Ereignisse, als die Polizeibeamten eintrafen. Widerstandslos ließen sich die Fanatiker verhaften.
***
Für den Abend des folgenden Tages hatten sie sich mit Commissario Tolini und Dr. Mensing in der Bar des Hotels verabredet. Es wurde eine feuchtfröhliche Feier. Irgendwann nach Mitternacht fragte der Commissario: »Wie wäre es denn mit einer Gondelfahrt, Signora Conolly? Sie können sogar die schwarze Todesgondel nehmen. Sie steht fahrbereit in unserem Polizeimuseum.«
Sheila schüttelte den Kopf und lachte. Sie hatte die Schrecken der Nacht gut überstanden. »Und wenn Sie selbst steuern, Commissario, mein Bedarf an Gondelfahrten ist gedeckt.«
ENDE
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