GK0153 - Die Rache der roten Hexe
machen.« Plummer trat an den Tisch und blies die Kerzen aus. »Sollen wir auch das Licht löschen?«
Jane schüttelte den Kopf. »Nein, wir lassen es auch oben im Gang brennen.«
»Ja, das wird besser sein.« Dann stiegen die drei Menschen die Treppe hoch. Eine Schicksalsgemeinschaft, die ein Zufall zusammengeführt und nun auf Gedeih und Verderben aneinander gekettet hatte.
Der Gang in der ersten Etage des unheimlichen Hauses erinnerte Jane an den Flur eines Hotels. Zu beiden Seiten gab es Zimmer. Bei den noch nicht benutzten standen die Türen offen Die Wände waren kahl. Nicht ein Bild schmückte sie. Der Gang mündete an einer Mauer. Eine Spiegelkommode stand davor.
Jane nahm das letzte Zimmer in der Reihe. Ray Danton das vorletzte und Georg Plummer das daneben.
***
Marcel Fontaine, der Mann mit dem Seehundsgesicht, warf aufatmend die Zimmertür hinter sich ins Schloß. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen das Holz und schloß die Augen.
Der Schreck steckte ihm noch in sämtlichen Gliedern. Er hatte Angst, nackte Todesangst. Die Worte, die die Hexe gesprochen hatte, dröhnten noch wie Glockenschläge in seinen Ohren wider. Und vielleicht war er sogar das erste Opfer.
»Nein«, keuchte Fontaine. »Ich will es nicht sein! Ich will es nicht.«
Der Mann warf sich auf das Bett und trommelte mit seinen Fäusten auf das Kissen. Am liebsten hätte er geheult wie ein Kind. Denn im Grunde seines Wesens war Marcel Fontaine ein Feigling. Ja, er war feige und schwach, war immer allen Schwierigkeiten aus dem Weg gegangen, anstatt dagegen anzukämpfen.
Stimmen vom Flur her schreckten ihn hoch.
Fontaine hatte kein Licht gemacht. Er hockte auf dem Bett und lauschte.
Mondlicht fiel durch das Fenster und zeichnete einen breiten hellen Streifen über seinen Körper. Fontaine unterschied die Stimmen der Detektivin und die von Plummer und Danton. Dann fielen Türen in die Schlösser, und es wurde wieder still.
Eine Stille, die Fontaine doppelt auf die Nerven fiel. Doch plötzlich sprang er wie von der Tarantel gestochen hoch, lief zum Schrank und wäre in der Dunkelheit um ein Haar über einen Stuhl gestolpert.
Hastig zog er die Schranktüren auf und wühlte in seiner Reisetasche. Dann hatte Fontaine das gefunden, was er gesucht hatte.
Eine Flasche Cognac. Noch nicht angebrochen.
Fontaine löste die Umhüllung des Flaschenhalses und zog den Korken heraus.
Der milde Duft des edlen Weinbrands stieg in seine Nase.
Fontaine trank direkt aus der Flasche. Wie ein Verdurstender. Als er die Flasche zum erstenmal absetzte, war sie um rund ein Viertel leerer.
Fontaine stellte sie auf den Tisch, ließ sich selbst auf einen Stuhl fallen und die Arme zu beiden Seiten der Lehne herabhängen. Den Kopf legte er in den Nacken.
Der Cognac brannte in seinem Magen wie Feuer. Fontaine mußte aufstoßen. Er hatte lange nichts mehr gegessen, und wenn er die Augen schloß, erfaßte ihn ein leichtes Schwindelgefühl.
Aber die Welt sah für ihn längst nicht mehr so schlimm aus.
Wieder nahm er einen Schluck. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und fing an zu kichern. »Geister! Wenn ich das schon höre. Da – da will uns einer einen Schrecken einjagen. Aber nicht mit mir, sage ich immer. Ich werde ach, ist ja auch egal, was ich werde…«
Fontaine nahm wieder einen Schluck, und als er die Flasche dann wieder absetzte, war sie halb leer.
Prustend stieß Fontaine den Atem aus. Er beugte sich vor und stützte sich an der Tischplatte hoch. Dabei paßte er nicht auf, stieß gegen die Flasche, und sie kippte um.
Der Cognac gluckerte aus der Öffnung und wurde von der Decke aufgesaugt. »Merde«, murmelte Fontaine. Er schaffte es erst beim zweiten Mal, die Flasche zu packen und sie wieder hinzustellen. Dan wankte er auf das Bett zu. »Geister, daß ich nicht lache. Weingeister, die gefallen mir.« Mit einem Stöhnlaut ließ sich Marcel Fontaine auf das Bett fallen. Nicht mal eine Minute später füllten seine Schnarchtöne das Zimmer, Die Zeit verstrich.
Mitternacht rückte näher.
Der Mond stand jetzt genau über dem Haus, beleuchtete es mit seinem fahlen Licht. Wolkentürme zogen vorbei. Sie sahen aus wie drohende, unheimliche Gebilde.
Keiner der Anwesenden sah Madame Millau, die durch das Haus strich und in den Keller hinabstieg. Jetzt hing keine Decke mehr über dem Spiegel.
Die finstere Beschwörung begann. Heute nacht sollte die Hexe ihr erstes Opfer finden, und der Mann, der auf der Liste stand, ahnte von nichts.
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