GK0168 - Die Nacht des Schwarzen Drachen
stellten Vermutungen an und hörten hin und wieder die Echos der Schüsse.
Keiner wußte genau, was eigentlich los war. Doch am verbreitetsten war die Ansicht vertreten, daß sich irische Terroristen in einem Haus verschanzt hatten und der Polizei jetzt ein Feuergefecht lieferten.
Die Wahrheit ahnte jedoch niemand.
Am neugierigsten waren die Reporter. Mit allen Tricks versuchten sie, die Sperren zu durchbrechen, doch die Polizei hatte den Ring so dicht gelegt, daß nicht einmal die berühmte Maus ungesehen hindurchschlüpfen konnte.
Jedesmal wurden die Reporter abgefangen. Auf Fragen erhielten sie nur ausweichende Antworten. So etwas hatten sie noch nie erlebt denn bisher galt die Londoner Polizei als pressefreundlich.
Captain Helder hatte die Leitung des Kommandos übernommen. Er saß mit Lieutenant Bedell in dem großen Einsatzwagen, hatte ein Mikrophon vor den Lippen und einen Kopfhörer über den Schädel gestülpt.
Lieutenant Bedell hatte es sich nicht nehmen lassen, den Einsatz mitzumachen. Nachdem ein Arzt seine Wunde verbunden hatte, hockte er blaß auf einem kleinen Klappstuhl nahe dem Fenster. Hin und wieder warf er einen Blick nach draußen.
Wenn er durch die Lücke zwischen zwei Polizeiwagen hindurchsah, konnte er das Reviergebäude erkennen. Sämtliche zur Vorderfront hinzeigende Fensterscheiben waren zersplittert.
Träge kroch grauweißer Qualm nach draußen.
Tränengas.
Doch das Gas hatte nichts genutzt. Auf dem Revier befanden sich entsprechende Masken, die die Diener des Schwarzen Drachen natürlich sofort aufgesetzt hatten.
Eiskalt schossen die Männer auf alles, was sich bewegte. Es hatte noch mehrere Verletzte gegeben, zum Glück aber keinen Toten. Es war mehrere Male der Versuch unternommen worden, Scheinwerfer aufzustellen, doch mit ein paar Schüssen hatten die Drachendiener die Lichtquellen jeweils gelöscht.
»Wenn uns nicht bald etwas einfällt, sitzen wir noch die ganze Nacht hier«, meinte Captain Helder.
»Wieso?« Bedell blickte seinen Vorgesetzten an. »Wissen Sie etwas Neues, Sir?«
»Ja, Befehl von oben. Wir müssen die Stellung halten. Dürfen nicht angreifen, aber auch nicht zulassen, daß die Kerle einen Ausbruch unternehmen.«
Bedell hob die Schultern. »Was soll das? Werden Sie daraus klug, Sir?«
»Fragen Sie mich nicht, sondern einen gewissen Superintendent Powell. Der steht noch eine Etage höher als ich und hat diese Sache hier angeordnet. Er wird schon seine Gründe haben.«
»Powell, Powell«, murmelte Bedell. »Ist das nicht der Mann, der…?«
»Genau, Lieutenant«, sagte Captain Helder. »Es ist der Chef dieser geheimnisvollen Abteilung, die sich mitübersinnlichen Fällen beschäftigt.«
»Gehört nicht auch Oberinspektor Sinclair dazu?« fragte Bedell.
»Ja. Wieso? Kennen Sie ihn?«
»Wir haben uns auf einem Polizeifest mal gesehen und uns von Anfang an gut verstanden. Ich halte Sinclair für einen absolut fähigen Mann.«
»Ach, Quatsch. Geister, Spuk – so etwas gibt es doch nicht. Und das muß noch der arme Steuerzahler finanzieren.«
»Und wie können Sie mir erklären, daß unsere eigenen Kollegen plötzlich anfangen, auf uns zu schießen, Sir?«
Helder sah den Lieutenant nur mitleidig an. »Glauben Sie etwa auch an übersinnliche Dinge?«
Lieutenant Bedell zögerte mit der Antwort. Dann meinte er: »Eigentlich nicht, aber wenn ich sehe, was hier vor sich geht, kann man schon skeptisch werden. Die Polizisten waren doch gestern noch normale Menschen, Sir. Wieso schießen sie heute auf ihre eigenen Kollegen? Etwas ist geschehen, das wir nicht begreifen können. Oder haben Sie eine Erklärung, Sir?«
»Nein, zum Teufel, aber an Ihre übersinnlichen Erscheinungen glaube ich auch nicht. Man wird die Männer mit einer Droge vollgepumpt haben, das ist meine Version, und ob Sie’s glauben oder nicht, Lieutenant, ich werde recht behalten. Verlassen Sie sich darauf.«
»Ich würde es Ihnen gönnen, Sir. Aber ich war in dem verdammten Revier und habe die Drachenfratze gesehen. Scheußlich, sage ich Ihnen. Von der Tätowierung geht eine höllische Gefahr aus, gegen die wir völlig machtlos sind. Was sagt denn Superintendent Powell?«
»Er steht selbstverständlich auf Ihrer Seite«, erwiderte Helder. »Zuerst sollte ja dieser Sinclair antanzen, aber Powell hat es sich dann wohl anders überlegt.«
»Verstehe ich nicht«, sagte Bedell. »Ist der Fall denn nicht wichtig genug?«
»Keine Ahnung, was man am grünen Tisch ausgeknobelt hat. Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher