GK0215 - Die Rache des Kreuzritters
wünschte er sich auch den Tod herbei. Doch er konnte nicht sterben. Der Zaubertrank wirkte. Jahrhunderte geisterte er als Spukgestalt durch die Burg und bewachte sie, damit sie kein Fremder in Besitz nahm. Besonders gegen Frauen richtete sich sein Haß. Immer wenn welche in seine Nähe kamen, dann tötete er sie. Bis zum heutigen Tag.«
John Sinclair nickte. »Eine interessante Geschichte«, gab er zu, »nur – was haben Sie mit dem Kreuzritter zu tun?«
Jean Muller lachte. »Mich hat er eines Tages aufgesucht. Natürlich kannte ich seine Geschichte. Ich war gar nicht mal überrascht, als er vor mir stand und mich fragte, ob ich sein Diener werden wollte. Ich habe sofort eingewilligt, und nun bin ich schon über fünf Jahre lang sein Knappe. Vielen habe ich das Leben gerettet. Ich habe sie immer gewarnt, die Burg zu betreten. Doch sie wollten nicht hören. Dann hat der Ritter sie umgebracht.«
»Sie haben sich der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht«, stellte John fest.
»Es belastet mein Gewissen nicht«, antwortete der Wirt. »Die Leute wollten es nicht anders, und auch Sie werden nicht mehr lange leben. Genau wie die anderen vier. Und es wird bis in alle Zeiten so weitergehen, denn niemand ist da, der den Fluch des Abtes von ihm nimmt. Alexander von Rochas wird weitermorden müssen. Für immer und ewig. Auch Sie haben keine Chance, Herr…«
John verschwieg seinen Namen. Er fragte statt dessen: »Was hatten Sie mit der Frauenleiche vor?«
Der Wirt kicherte. »Ich wollte sie im Schacht der Toten verschwinden lassen.«
»Wo liegt dieser Schacht?«
»Gar nicht weit von hier. Neben dem Verlies, in dem auch der Ritter haust.«
»Dann führen Sie mich hin!« sagte John.
»Sie wollen wirklich…?«
»Ja, kommen Sie, stehen Sie auf!«
Der Blick des Wirts wurde tückisch. »Auf Ihre Gefahr, Monsieur«, sagte er. »Ich kann für nichts garantieren. Für gar nichts.« Plötzlich begann Muller zu kichern. Mühsam stemmte er sich hoch.
John Sinclair ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen. Allerdings hielt er es nicht für nötig, die Waffe zu ziehen.
Jean Muller ging vor dem Oberinspektor her. Sie verließen die Folterkammer und tauchten wieder in den Gang ein. Schon nach wenigen Metern mußte John den Kopf einziehen. Der Lampenstrahl wies ihm den Weg.
Als sie wieder das große Gewölbe erreichten, wandte sich der Wirt nach links.
»Halt«, sagte John.
Muller blieb stehen.
»Wohin geht die Fahrt jetzt?«
Der Wirt kicherte. »Wollten Sie nicht selbst den Leichenschacht sehen, Monsieur?«
»Gut. Gehen Sie voran.«
Und wieder setzte sich der Wirt in Bewegung. Er ging vornübergebeugt. Manchmal brummte er etwas vor sich hin, was John nicht verstehen konnte. Hin und wieder kicherte er auch.
Muller führte den Geisterjäger immer tiefer in das Gewölbe hinein. Es mußte gewaltige Ausdehnungen haben und in seiner Fläche noch größer sein als das Areal der Burg. Allerdings wurde das Gewölbe schmaler, bis schließlich nur noch ein Gang vor ihnen lag, der allerdings relativ breit war.
John hielt immer zwei Schritte Abstand. Und das war gut so, denn als Muller plötzlich stehenblieb, wäre der Oberinspektor fast auf ihn gelaufen.
»Jetzt ist es nicht mehr weit«, flüsterte Muller im Verschwörerton. »Ich freue mich schon, wenn Sie in den Schacht fallen.«
»Abwarten, Freund!«
Muller lachte wieder und ging weiter.
Und plötzlich war der Gang zu Ende. Eine große Schachtöffnung lag vor den beiden Männern. Sie maß etwa drei Meter im Quadrat. Vor dem Schacht lag ein Brett. Es ragte in den Gang hinein.
»Da sind wir«, sagte der Wirt.
John nickte. Er fühlte ein flaues Gefühl im Magen. Der Geruch, der aus der breiten Öffnung strömte, war gräßlich.
John Sinclair stellte sich neben Jean Muller. Aber so, daß er von dem Wirt nicht in den Schacht hineingestoßen werden konnte. Er hatte eine schräge Haltung angenommen und das linke Bein etwas zurückgesetzt.
John Sinclair leuchtete in den Schacht.
Der Lampenstrahl geisterte über lehmige Wände, tastete sich weiter vor und verlor sich dann in der Dunkelheit. Ganz undeutlich vermeinte John die bleichen Knochen der Toten zu sehen.
Neben ihm lachte der Wirt. »Siehst du sie? Es sind deine Freunde. Bald wirst du bei ihnen sein!«
John machte eine halbe Drehung. Mit der linken Hand packte er den Wirt am Kragen seines Hemdes. »Okay, mein Freund. Das war der erste Teil. Und jetzt will ich wissen, wo der verdammte Kreuzritter zu finden ist.«
Muller
Weitere Kostenlose Bücher