GK047 - Die Höllenbrut
»Habt Dank für die Gnade! Dank! Dank!«
Die Hexen traten zurück. Neal Usting sprang hastig auf die Beine. Durfte er nun gehen? Würden sie ihn ziehen lassen, ohne ihn zu behelligen? Er wagte nicht den ersten Schritt zu machen.
»Geh jetzt!«, sagten die Hexen scharf.
Er begann zu rennen, schaute sich nicht um, rannte mit brennenden Lungen so lange, bis er das Dorf erreicht hatte.
***
»Mord!«, keuchte Neal Usting mit glühendheißen Wangen. »Mord! Sie müssen sofort kommen, Inspektor Ballard. Ich habe eine Leiche entdeckt!«
»Mann, beruhigen Sie sich erst mal, sonst trifft Sie noch der Schlag!«, sagte Tony Ballard.
»Mord!«
»Sie haben also eine Leiche entdeckt, Usting?«, sagte Tony. Er saß in seinem Büro an seinem Schreibtisch. Man hatte ihn gebeten, einen Kollegen zu vertreten.
»Ja, Inspektor Ballard!«, keuchte der schweißüberströmte Mann nervös.
Komm schon! Komm schon! dachte er aufgeregt.
»Ist es eine männliche oder eine weibliche Leiche?«, fragte Ballard und nahm einen Bleistift zur Hand, um sich Notizen zu machen.
»Eine – eine männliche.«
»Wo?«
»Was?«
»Wo haben Sie die Leiche entdeckt?«
»Beim Moor. Kommen Sie. Ich zeige Ihnen die Stelle.«
»Wieso wissen Sie, dass der Mann, der beim Moor liegt, ermordet wurde, Usting?«
»Weil ein Messer in seinem Rücken steckt.«
»Ich nehme an, Sie kennen den Toten nicht?«
Usting schüttelte schnell den Kopf.
»Nie gesehen, Inspektor Ballard. Kommen Sie! Ich zeige Ihnen die Stelle.«
Tony musterte Neal Usting nachdenklich. Der Mann war ihm bekannt. Einer von jenen Typen, die sich immer nach dem Wind drehten. Immer freundlich ins Gesicht und allzeit bereit, einem hinterrücks das Messer ins Kreuz zu rammen. Das war Neal Usting. Sicherlich war ein Leichenfund eine aufregende Sache, die einem Mann wie Usting hart an die Nieren gehen konnte, aber rechtfertigte der Schock diese Panik?
Tony verließ mit dem Mann das Polizeigebäude. Wenn etwas an dem Leichenfund dran war, würde er hinterher seine Männer zum Moor schicken.
Sie setzten sich in Ballards kaffeebraunen Thunderbird. Ballard fuhr aus dem Dorf.
Da zum Moor kein befahrbarer Weg führte, mussten sie den Wagen bald verlassen und zu Fuß weitergehen.
Je näher sie dem Moor kamen, desto nervöser wurde Neal Usting.
»Was haben Sie denn?«, fragte Tony den Mann.
»Nichts«, gab Usting schrill zurück.
»Sie werden den Mann doch nicht umgebracht haben?«, sagte Tony Ballard.
»Um Gottes willen, nein! Wäre ich sonst zu Ihnen gekommen, um Meldung zu machen?«
»Eben. Weshalb sind Sie dann so furchtbar aufgeregt?«
»Ich bin es eben. Kann nichts dafür.«
Sie gingen schweigend weiter. Wie im Fieber glänzten Ustings Augen. Das gefiel Tony Ballard nicht. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass hier etwas faul war. Professor Davies’ Worte fielen ihm ein. Und mit einem Mal befürchtete er, dass dieser Usting ihn in eine Falle locken würde.
Sie hatten das Moor schon fast erreicht. Der Wind strich kalt auf sie zu.
Ein unheimliches Heulen füllte die Dunkelheit.
Da rissen plötzlich Ustings Nerven.
»Fliehen Sie, Ballard!«, brüllte er aus Leibeskräften und floh selbst als Erster.
Mit weiten Sätzen keuchte er zum Dorf zurück. Leider steckte nicht mehr allzu viel Kraft in seinem ausgepumpten Körper. Er musste bald langsamer laufen, und schließlich wankte er nur noch zwischen Büschen hindurch, stolperte über Grasnarben und glitt auf dem lehmigen Boden aus.
Sein Herz hämmerte wie verrückt in seiner Brust. Der Pulsschlag raste. Noch nie in seinem Leben hatte Neal Usting solche Angst gehabt.
Weiter keuchte er. Immer weiter. Bis er nicht mehr konnte, bis er wieder einmal ausglitt und sich nicht mehr aufrichten konnte. Erschöpft rollte er sich hinter einen Busch. Hier wollte er verweilen und neue Kräfte sammeln. Eine große schwarze Ratte war hinter ihm hergehuscht. Er hatte sie nicht gesehen. Sie raschelte nun im Gras und erschreckte ihn mit einem durch Mark und Bein gehenden Pfiff.
Er fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und sah das furchtbar große Nagetier.
Als die Ratte zum Sprung ansetzte, stieß er einen grellen Entsetzensschrei aus. Er streckte gleichzeitig die Arme abwehrend von sich und wollte sich zur Seite werfen.
Wie eine geballte Ladung von Gefahr und Mordgier flog ihm das hässliche Tier an die Kehle. Er spürte den wahnsinnigen Schmerz und fiel nach hinten.
Die Ratte biss noch einmal zu und immer wieder.
Bis Neal Usting tot
Weitere Kostenlose Bücher