GK181 - Der Spinnenmann
sagte ich zu mir und stieg aus.
Ich nahm mir eine tüchtige Füllung Pernod. Ein Anruf kam. Es stellte sich heraus, daß jemand die falsche Nummer gewählt hatte. Ich hatte gehofft, es würde Vicky sein. Ich dachte an meine Freundin und kam ins Träumen. Wie mochte es ihr im Augenblick gerade ergehen? Ich versuchte nachzurechnen, wieviel Uhr es in Hollywood gerade sein mochte, als es an der Tür schellte.
Ich ging, um zu öffnen, und dann klaffte mein Mund vor Erstaunen weit auf, denn vor mir stand… Mr. Scotland Yard persönlich: Chief-Superintendent Neal Hopkins.
***
Der weißhaarige Mann ließ sich zu einem Drink verleiten. Ich kannte ihn seit ein paar Jahren, denn er war Mitglied desselben Klubs, in dem auch Tucker Peckinpah — und hin und wieder auch ich — verkehrte. Sein Mantel und der Hut hingen in der Diele am Haken. Hopkins trug einen erstklassig geschnittetenen Flanellanzug. Seine glattrasierten Wangen glänzten. Er war ein Mensch, an dem man keinen Makel entdecken konnte. Ich freute mich über den hohen Besuch, konnte aber nicht umhin, Hopkins meine Meinung über die Sache mit Lou Nicholson zu sagen. Der Yard-Inspektor war mir fremd. Ich hätte nicht Partei für ihn ergreifen müssen, aber es drängte mich dazu. Der Chief-Superintendent machte ein betrübtes Gesicht.
»Ich weiß, Mr. Ballard«, sagte er mit einem geplagten Seufzer. »Es war ein Zug, mit dem viele nicht einverstanden sind, aber ich war gezwungen, ihn zu tun. Die Öffentlichkeit kann sehr schnell zur reißenden Bestie werden, wenn man ihr Taten vorenthält, die sie fordert. Glauben Sie mir, es war nicht meine Idee, Inspektor Nicholson den Fall wegzunehmen. Ich weiß, wie sehr er darunter leidet, aber die Öffentlichkeit hat verlangt, daß etwas geschieht, und so mußte eben etwas getan werden. Alle Zeitungen berichteten darüber, daß Lou Nicholson den Fall abgeben mußte. Nun sind die Leute für eine Weile zufrieden. Scotland Yard hat sich eine kleine Verschnaufpause herausgeschunden, die wir natürlich nützen müssen, sonst kommen sich die Leute letzten Endes gefoppt vor.«
»Woran haben Sie gedacht, Mr. Hopkins?« wollte ich wissen.
»An Sie, Mr. Ballard«, gab er unumwunden zurück.
Meine Miene drückte größtes Erstaunen aus.
»Sehen Sie«, fuhr Chief-Superintendent Neal Hopkins fort, »wir haben es mit keinem gewöhnlichen Verbrecher zu tun, Mr. Ballard. Unsere Spezialisten haben mit diesen Spinnenfäden verschiedene Tests gemacht. Die Fäden lassen sich nicht vernichten. Als Chef von New Scotland Yard darf ich natürlich offiziell nicht an übernatürliche Kräfte denken, die hier im Spiel sein könnten. Aber als Privatmann darf ich das sehr wohl. Ich bin der Meinung, daß das ein Fall für Sie ist, Mr. Ballard. Ich bin bereit, mich auf ein waghalsiges Experiment einzulassen. Ich möchte Ihnen diesen heiklen Fall übertragen. Selbstverständlich muß ich das sozusagen unter dem Tisch tun, denn wenn es publik wird, daß Scotland Yard einen Privatdetektiv bemühen muß, um einen Kriminalfall in den Griff zu bekommen, ist der Skandal perfekt.«
»Ich könnte ebenso Mißerfolg haben wie Lou Nicholson«, warf ich ein.
»Das glaube ich nicht.«
»Wieso haben Sie zu mir mehr Vertrauen als zu Ihrem Inspektor?« wollte ich wissen.
Neal Hopkins räusperte sich. »Immerhin ist allgemein bekannt, was Sie auf diesem Gebiet schon geleistet haben, Mr. Ballard. Sie jagen seit Jahren mit größtem Erfolg Geister und Dämonen…«
»Ich war nicht immer erfolgreich!« gab ich zu bedenken.
»Ich sagte ja schon, es ist ein Experiment. Wenn es mißlingt, bin ich geliefert. Dann kann ich meinen Posten zur Verfügung stellen.«
»Trotzdem wollen Sie dieses Risiko eingehen?«
»Ich will, daß dieser rätselhafte Verbrecher gefaßt wird, Mr. Ballard«, sagte Hopkins ernst. »Wie es geschieht, ist mir persönlich völlig egal. Die Sache muß nur am Ende positiv abgeschlossen werden. Mir ist vollkommen bewußt, daß die Angelegenheit in keiner Weise korrekt ist. Aber dies ist ein so außergewöhnlicher Fall, daß ich der Ansicht bin, daß wir ihn mit außergewöhnlichen Mitteln zu lösen versuchen müssen. Wären Sie im Prinzip bereit, den Fall zu übernehmen, Mr. Ballard?«
Ich rieb mir nachdenklich das Kinn. Eigentlich war ich in dem Fall ja schon mittendrin. Solange ich Neal Hopkins aber meine Zustimmung nicht gab, arbeitete ich für mich allein an dieser Sache, und wenn ich keinen Erfolg hatte, dann wußte eben niemand etwas davon.
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