GK181 - Der Spinnenmann
Millimeter!
Ich legte meine Hand auf das Holz.
Die Tür gab nach, schwang auf. Ich merkte, wie ich nervös wurde. Meine Stirn kräuselte sich. »Lance?!« rief ich und trat ein. »Lance!«
Stille.
Beinahe unheimlich.
»Lance!«
Ich erreichte das Arbeitszimmer. Tee war noch in der Tasse. Ich legte meine Hand daran. Noch warm. Und Lance Selby gab keine Antwort…
Mit sorgenvoller Miene lief ich zum Obergeschoß hoch. Ich stieß sämtliche Türen auf, blickte in alle Räume. Lance hatte in letzter Zeit viel gearbeitet. Er hatte in zahlreichen englischen Städten Vorlesungen gehalten, war beim internationalen Parapsychologen-Kongreß in Paris gewesen… Und er hatte auch kein besseres Herz in seiner Brust als andere Menschen. Er konnte schlappgemacht haben… Aber paßte dazu die offene Tür?
Ich konnte Lance im ganzen Haus nicht finden.
Als ich wieder in der Diele stand, entdeckte ich kurze Schleifspuren auf dem Boden. Da wußte ich mit einemmal in groben Umrissen, was meinem Freund widerfahren war…
***
Eine unangenehme Kälte saß in meinem Genick. Ich warf die Tür hinter mir achtlos ins Schloß. Nun war ich wieder zu Hause, und ich fühlte mich schrecklich. Ein ekelhaftes Kribbeln lag unter meiner Haut. Meine Nerven schienen bloßzuliegen. Ich fühlte mich auf eine seltsame Weise verletzt. Nicht körperlich, sondern seelisch. Aber auch das kann wehtun. Lance! Jemand mußte ihn in seinem Haus überfallen und fortgeschleppt haben. Wer? Ich dachte natürlich sofort an den Spinnenmann. Aber ich verwarf diesen Gedanken sofort wieder.
Dieser Verdacht war meines Erachtens haltlos. Woher sollte der Kerl wissen, daß er mich zum Feind hatte. Und wenn er es wußte, wieso wandte er sich nicht an mich? Was für einen Zweck verfolgte er mit der Entführung von Lance Selby? Woher wollte er wissen, daß er mich damit hart traf?
Gedankenverloren ging ich zur Bar. Ich goß mir einen Pernod ein und trank den Anisschnaps wie Wasser. Der zweite Drink lockerte die Verkrampfung in mir. Nachdenklich starrte ich auf meine Schuhspitzen. Es ist unbeschreiblich, wie es in diesem Augenblick in meinem Kopf rundging. Ich machte mir große Sorgen um Lance, und ich zermarterte mir das Gehirn mit der Frage: Wohin wurde Lance Selby verschleppt? Die Antwort darauf war für mich ein quälendes Rätsel. Ich überlegte, ob ich die Polizei einschalten sollte. Was hätte ich melden sollen? Lance ist weg! Ihr müßt ihn suchen! Wo? Das weiß ich nicht! Ich schüttelte mit zusammengepreßten Lidern den Kopf. O Gott, wo war Lance Selby nur hingekommen?
Das Schrillen des Telefons ließ mich mit einem heiseren Schrei herumfahren. Ich stellte das Pernodglas weg und griff nach dem Hörer.
»Ballard!«
Ich hörte ihn atmen. Es schien ihm Spaß zu machen, mich zappeln zu lassen.
»Hallo!« rief ich ziemlich wütend in die Membrane.
Er fing zu lachen an. Herrgott, was war das für ein Lachen. Es reizte mich zur Weißglut. Ich wünschte mir, ihm gegenüberzustehen, dann hätte dieses Lachen ein jähes Ende genommen.
»Hallo, Mr. Ballard«, sagte er, und er hielt es nicht einmal für nötig, seine Stimme zu verstellen. »Hier spricht der Spinnenmann!«
***
Flüssiges Eis pulste durch meine Adern. Ich war um Beherrschung bemüht. Es hatte keinen Zweck, jetzt loszubrüllen. Der Kerl war mir in einigen Dingen voraus. Er hatte die bessere Position. Er konnte auftrumpfen, konnte Bedingungen stellen — und ich mußte kuschen. Mein Mund war völlig trocken. Die Zunge klebte mir am Gaumen. Ich versuchte meiner Stimme einen energischen Klang zu geben, aber sie hörte sich entsetzlich spröde an, als ich fragte: »Was wollen Sie?«
Er lachte höhnisch. »Ich weiß, daß Sie hinter mir her sind, Ballard!«
»Von wem?« schnauzte ich.
»Ich weiß es eben!« gab der Spinnenmann eisig zurück. »Und ich habe Erkundigungen über Sie eingezogen!«
»Dann wissen Sie jetzt auch, was Ihnen blüht, wenn ich Sie erwische!« sagte ich hart. Darüber mußte er lachen. Passieren? Was sollte ihm schon passieren? Wenn er Lance Selby hatte, konnte er von mir verlangen, daß ich mich vor einen Zug werfe, oder sonst etwas in der Art.
»Man hat mir gesagt, daß Sie ein ausgeschlafener Bursche sind, Ballard.«
»Da hat man Sie nicht belogen!« erwiderte ich. »Und ich weiß, wie man Verbrecher wie Sie zur Strecke bringt.«
»Mag sein. Dafür weiß ich, wie man Schnüffler wie Sie kaltstellt«, sagte der Spinnenmann mit hohntriefender Stimme.
»Und wie?« fragte ich
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