GK201 - Der Hexer von Colombo
daß es ihr unmöglich war, bei einem Themenkomplex zu verweilen. Alles geriet durcheinander – wie bei einem Geistesgestörten. Und von außen kamen nach wie vor die Befehle, denen sich die alte Frau nicht widersetzen konnte.
Weitergehen!
Nicht stehenbleiben!
Mimi schlafen lassen!
Die letzte Stufe. Susan hatte die Halle erreicht. Eine eigenartige Kälte fuhr ihr unters Nachthemd und erzeugte auf ihrem faltigen Körper eine rauhe Gänsehaut. Den Tod holst du dir hier unten bei dieser Kälte, sagte sie sich zähneklappernd. Sie preßte die Hände auf den verwelkten Busen und wandte sich nach links, denn von da kamen deutliche Atemgeräusche.
Ein Schauer nach dem anderen durchlief ihren bebenden Körper. Was sie früher zuwenig Angst gehabt hatte, hatte sie nun zuviel, und die Furcht wuchs mit jedem Schritt um das Doppelte. Wie lange würde ihr altes Herz dabei noch mitspielen? Während sie wie hypnotisiert auf die unheimlichen Atemgeräusche zuging, setzte langsam die Erinnerung ein…
Sie sah sich allein in der Halle sitzen, und dann entsann sie sich wieder des Ereignisses, das ihr – jedenfalls war sie dieser Meinung – beinahe das Leben gekostet hätte: Rajasinhas Hände hatten sich vom Gobelin gelöst, hatten sich um ihren Hals gelegt – der Hexer hatte sie erwürgen wollen, und wenn Mimi mit Mr. Morris nicht ins Haus gekommen wäre, hätte der Unhold die Tat vermutlich auch ausgeführt.
Das Bild lebte also.
Es lebte auf eine unheimliche, gefährliche Weise. Der Hexer vermochte jedoch den Wandteppich nicht nur teilweise zu verlassen. Er konnte von dort oben – wie er im Augenblick gerade bewies – auch ganz heruntersteigen und durch das große Haus spuken.
Der Hexer.
Er war hier unten unterwegs.
Susan hatte ihn gesehen, und sie hörte ihn jetzt atmen. Nervös suchte sie die hochgewachsene Gestalt, konnte sie jedoch nirgendwo entdecken. Die Küchentür stand halb offen. Kamen die Atemgeräusche etwa von dort? Susan ging weiter. Mimi, dachte sie bei jedem zaghaften Schritt. O Mimi, wärest du doch bloß bei mir, dann wäre meine Angst halbwegs zu ertragen. Zu zweit würden wir uns weit weniger fürchten. Die eine würde der anderen Mut machen, würde der anderen die eigene Furcht nicht zeigen, man würde sich aneinander aufrichten…
Susan erreichte die Küchentür.
Geh da nicht hinein! warnte sie ihr Gewissen.
Tritt ein! sagte etwas anderes. Tritt ein, du wirst erwartet!
Eiskalt war der Schweiß, der auf Susans runzeliger Stirn stand. Erschrocken stellte sie fest, daß sie die Hand bereits an das Holz der Tür gelegt hatte und nun dagegendrückte. Tatsächlich. Sie wurde erwartet. Er stand vor dem Fenster. Susan rollten Eiskugeln über die Wirbelsäule. Ihr Herz setzte aus. Aufrecht stand Rajasinha da, eingehüllt in sein rabenschwarzes Gewand, das den Boden berührte. Sein schlohweißes Haar leuchtete wie pures Silber im hellen Licht des Mondes.
Hart und Mitleidlos war seine Miene.
Susan war gezwungen, die Küche zu betreten.
Mit zitternden Knien näherte sie sich dem unheimlichen Spuk. Der Hexer hatte bis jetzt die rechte Hand hinter seinem Rücken verborgen. Nun kam die Hand zum Vorschein. Susan entfuhr ein entsetzter Seufzer.
In Rajasinhas Faust blitzte ein langes, spitz zulaufendes Küchenmesser…
***
Es war Dawir Matara schwergefallen, einzuschlafen.
Der Redakteur hatte im Bett alle Probleme gewälzt, die am vergangen Tag auf ihn eingestürmt waren. Duwa – eine Hexe. Landa ebenfalls. Seine Landa, das Mädchen, das er mehr liebte als sein Leben! Eine Braut des Satans. Matara war darüber so unglücklich, daß es ihm vor Schmerz die Brust zerreißen wollte. Er hatte geschluchzt, und Tränen hatten sein Kissen benetzt. Tränen! Er wußte nicht, wann er zum letztenmal geweint hatte, doch nun, in dieser furchtbaren Nacht der Erkenntnis, weinte er wie ein kleiner, unglücklicher Junge.
Wenn nicht noch ein Wunder geschah, hatte er Landa, sein ein und alles, für ewig verloren. Es gab nichts Schlimmeres für Dawir Matara.
Er zermarterte sich den Kopf, in welcher Form man das Unglück vielleicht doch noch besiegen konnte. Duwa. Landa. Zwei Hexen. Außer diesen beiden mußte es noch fünf Frauen geben, die in der vergangenen Walpurgisnacht zu Teufelsbräuten geworden waren. Wie konnte man sie dem Höllenfürsten wieder wegnehmen?
Zwangsläufig dachte Matara dabei an den Hexer von Colombo, der in diesem satanischen Spiel ein Bindeglied war, eine Schlüsselfigur, die Drehscheibe, auf der
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