GK291 - Satan hinter Gittern
Etwas in ihm warnte ihn, es nicht zu tun. Aber da war es bereits geschehen. Moody zog die Tür hinter sich sofort zu.
Unwillkürlich dachte Tim Shakespeare: Jetzt sitzt du in der Falle!
»Nimm Platz!« sagte hinter ihm Bernard Moody.
Tim Shakespeare nahm vage einen Tisch und zwei Stühle wahr. Der Oberaufseher hatte ihn aus einer Zelle herausgeholt und in eine andere geführt.
Tim wandte sich um. »Ich dachte…«
»Du machst dir zu viele Gedanken, Dichter. Überlaß den Ablauf der Dinge getrost mir. Setz dich. Wir wollen zunächst ein Glas auf deine bevorstehende Freiheit leeren.«
»Aber…«
»Sei unbesorgt. Vertraue Bernard Moody, dann fährst du gut, mein Junge. In wenigen Minuten wird mein Kollege seinen nächsten Kontrollrundgang machen. Darauf warten wir. Sobald er hier vorbeigegangen ist, verlassen wir diesen Raum und setzen unseren Weg fort. Du schlägst mir doch den Drink nicht ab, oder?«
»Nein«, antwortete Tim Shakespeare nervös. »Nein, natürlich nicht.« Er nagte an seiner Unterlippe.
Von irgendwoher holte Moody eine Flasche und zwei Gläser. Tim setzte sich. Er hörte, wie die Flüssigkeit in die Gläser gluckste. Moody schob ihm sein Glas zu.
»Was ist es?« wollte Tim Shakespeare wissen.
»Bourbon. Guter alter Bourbon. Er wird dir schmecken.« Moody hob sein Glas. »Auf deine Freiheit, Dichter.«
»Auf meine Freiheit«, sagte Tim und griff nach dem Glas. Es war wirklich ausgezeichneter Bourbon. Er brannte nicht auf der Zunge, sondern rann wie öl in die Kehle. Seit einem Jahr hatte Tim so etwas Köstliches nicht mehr getrunken. Er genoß den Schluck mit geschlossenen Augen.
Als er die Lider dann wieder hob, stellte er verwundert fest, daß er seine Umgebung mit einemmal viel deutlicher wahrnahm als zuvor, obwohl es in diesem Raum nach wie vor keine Lichtquelle gab.
Er hatte den Eindruck, plötzlich wie eine Katze sehen zu können. Ob das von dem Bourbon kam?
»Ist in dem Schnaps irgend etwas drin?« fragte Tim Shakespeare mißtrauisch.
»Ja«, sagte Moody grinsend. »Alkohol.«
»Sie haben dem Bourbon nichts beigemengt?«
»Was sollte ich ihm denn beigemengt haben? Schmeckt er dir denn nicht?«
»Doch, doch. Aber er hat eine Wirkung… Ich kann auf einmal viel besser sehen.«
»Beunruhigt dich das?«
»Nein. Es erstaunt mich nur«, erwiderte Tim Shakespeare. Er hatte den Eindruck, sein Blut würde dicker werden. Eine eigenartige Müdigkeit kroch ihm in die Glieder.
»Hast du mit jemandem über unsere Abmachung gesprochen?« hörte er Bernard Moody fragen.
Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein. Niemand weiß davon.«
Moody lächelte zufrieden. »Das ist gut. Wie du dir denken kannst, ist es nicht so einfach, jemanden aus dem Zuchthaus zu schaffen. Aber ich habe eine Lücke in diesem System gefunden. Ich habe einen Weg entdeckt, der dich in die Freiheit zurückbringt.«
Tim Shakespeare hörte die Stimme des Oberaufsehers wie durch dicke Daunenkissen. Seine Glieder wurden immer schwerer. Er konnte sie kaum noch bewegen.
Kleine Schweißtröpfchen bildeten sich auf seiner Stirn. Er begriff, daß der Wächter doch irgend etwas in den Bourbon getan haben mußte. Weshalb? Wollte Moody damit erreichen, daß er, Tim, ohnmächtig wurde? Damit er hinterher nicht verraten konnte, auf welchem Weg er in die Freiheit gelangt war? Hatte Moody kein Vertrauen zu ihm?
Er wollte den Oberaufseher das fragen, doch seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr. Er konnte nicht mehr sprechen. Erschrocken wollte er sich gegen die Wirkung der Droge wehren. Aber damit beschleunigte er den Fortschritt seiner geistigen Umnachtung nur noch mehr.
Bald hatte er das Gefühl, zwischen Phantasie und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden zu können. Er beobachtete Bernard Moody. Der Mann traf irgendwelche Vorbereitungen. Mit einer schwarzen Kreide malte Moody ein Sigill auf den Tisch, das ist ein stilisierter Teufelskopf.
Mitten in dieses Zeichen hinein stellte Bernard Moody eine kindskopfgroße Kristallkugel. Grinsend erklärte der Oberaufseher: »Diese Kugel ist mein Katalysator. Von ihm beziehe ich die Fähigkeit, Unmögliches möglich zu machen.«
Tim Shakespeare wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen, doch er war nicht mehr imstande, die Hand zu heben. Wie erstarrt saß er da. Er konnte nur noch aufnehmen, was passierte, war jedoch nicht mehr in der Lage, darauf zu reagieren.
Er wußte, daß er dem Oberaufseher auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Gleichzeitig war ihm klar, daß er dagegen
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