GK388 - Der Blutrichter
und über den Gräbern tanzten geisterhafte Nebelfetzen. Unheimlich war Clabber zumute. Sein Mund trocknete aus, und er hätte seinen linken Arm für eine Flasche Schnaps gegeben. Es hätte nicht einmal eine besonders tolle Marke zu sein brauchen.
Hauptsache, das Zeug brannte in der Gurgel. Endlich hatte er den Friedhof hinter sich.
Dino Clabber schüttelte sich wie ein begossener Pudel. Alles, was er besaß, trug er am Leib. Und über alles hatte er den Wintermantel gezogen, den er erst in der vergangenen Woche aus einer Mülltonne gefischt hatte.
Er zog den Mantel, der ihm viel zu groß war, vorne zu und stellte den Kragen auf.
An den Friedhof grenzte das Areal einer aufgelassenen Gerberei. Zwei langgezogene Gebäude standen da. Lange schon wurden sie nicht mehr benützt. Auf dem Gottesacker hätte Dino Clabber niemals geschlafen, aber daneben – das war zu überlegen. Wenn die Toten aus ihren Gräbern kamen, dann blieben sie – so stand es in den meisten Sagen und Legenden – auf dem Friedhof.
Der Penner hoffte, daß das auch wahr war.
Er huschte auf eines der beiden Gebäude zu. Ein gutes Gefühl hatte er nicht, und er wäre froh gewesen, wenn diese Nacht schon vorbei gewesen wäre. Bestimmt würde er sich in diese Gegend nicht so schnell wieder verirren.
Wenn man ihn in der U-Bahn-Station schlafen lassen hätte, hätte er sich das hier ersparen können.
Dino Clabber erreichte das Gebäude.
Er peilte die Lage. Alles war ruhig. Keiner war da. Der Penner blieb trotzdem vorsichtig. Er tastete sich an der Wand entlang, suchte einen Eingang.
Plötzlich vernahm er knirschende Schritte. Clabber drückte sich hastig in eine Mauernische. Mißtrauisch linste er in die Richtung, aus der die Schritte kamen.
In der nächsten Sekunde fuhr ihm der Schock tief in die Glieder.
Was er sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Er glaubte, an Delirium tremens zu leiden. Wahnvorstellungen waren das. Er mußte übergeschnappt sein. Seine Faust fuhr zum Mund. Er biß mit seinen karieszerfressenen Zähnen hinein, bis es schmerzte.
Fassungslos starrte er auf die schwarzen, gesichtslosen Wesen, die auf ihn zukamen. Sein Herz schien hoch oben im Hals zu schlagen. Er riß die Augen weit auf und schüttelte immerzu den Kopf.
Unmöglich! hallte es in seinem Hirn. Es ist unmöglich!
Die Schatten – es waren drei – waren nur noch acht Yards von ihm entfernt. Unheimliche Gestalten. Dino Clabber wollte vor ihnen fliehen, doch er war nicht imstande, sich vom Fleck zu rühren.
Sein Instinkt sagte ihm, daß ihn diese schwarzen Teufel umbringen würden, wenn sie ihn entdeckten. Er preßte sich zitternd gegen die Mauer und schloß die Augen.
Warum mußte das Schicksal für ihn immer die schrecklichsten Dinge parathalten? War er nicht schon genug bestraft?
Clabber wagte keinen Atemzug mehr zu tun. Am liebsten wäre er im Boden versunken. Mit geschlossenen Augen lauschte er. Plötzlich waren die Schritte nicht mehr zu hören.
Waren die Unheimlichen stehengeblieben? Hatten sie ihn entdeckt?
Clabber riß die Augen auf. Die Schatten waren verschwunden. Sie schienen das Gebäude betreten zu haben. Der Penner atmete erleichtert auf. Jetzt gehorchten ihm seine Beine wieder.
Er stieß sich von der Wand ab und rannte davon. Er hatte keine Ahnung, wohin er lief, es war ihm egal. Wichtig war ihm nur, daß er sich mit jedem Schritt weiter von diesen unheimlichen Wesen entfernte.
Keuchend rannte er durch eine enge Gasse. Als er um die Ecke bog, stieß er beinahe mit einem Bobby zusammen. Der Polizist schnappte ihn sich sofort. Er packte den Penner beim Mantelkragen und hielt ihn fest.
»Wohin so eilig?«
»Einfach nur weg«, keuchte der Penner.
»Du hast doch nicht etwa jemanden beklaut, he?«
»Bestimmt nicht. Ich schwör’s…«
»Beim Augenlicht deiner blinden Mutter, wie?«
»Ich habe wirklich nichts angestellt.«
»Niemand rennt um diese Zeit so wie du durch die Gegend, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben«, sagte der Bobby.
»Oh, einen Grund habe ich schon.«
»Welchen?«
»Ich habe Monster gesehen. Ungeheuer. Wesen ohne Gesichter. Schatten!«
»Freundchen, wenn du mich auf den Arm nehmen willst…«
»Ich sage die Wahrheit. Mein Ehrenwort. Schwarze Teufel… Sie sind in eines der beiden Gebäude von dieser aufgelassenen Gerberei gleich neben dem Friedhof gegangen. Ich dachte, es wäre aus und vorbei mit mir, als ich sie sah.«
Der Polizist zog die Brauen zusammen. »Es ist aus und vorbei mit dir, wenn du
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