GK460 - Das Geisterdorf
gekriegt.
Sie war ohne sein Zutun gestorben.
Ich hörte, wie Lance den Hörer auflegte, und wandte mich langsam um. Er wies auf den Apparat. »Hast du’s mitgekriegt?«
»Nein, ich war mit meinen Gedanken woanders.«
»Der Anruf kam aus Schottland. Ich machte vor kurzem in Glasgow die Bekanntschaft eines gewissen Barton Gilmore. Er ist Bürgermeister in einem kleinen Dorf im schottischen Hochland, das Seltrick heißt. Er behauptet, bei ihnen gehe es nicht mit rechten Dingen zu. Innerhalb weniger Tage seien vier Männer spurlos verschwunden. Er bittet mich, umgehend nach Seltrick zu kommen und diesen Vorgängen auf den Grund zu gehen.«
»Hast du zugesagt?«
»Ja, und ich habe angekündigt, dich mitzubringen. Ich hoffe, du verzeihst mir meine Eigenmächtigkeit, Tony. Aber in London zu bleiben und Trübsal zu blasen, tut dir bestimmt nicht gut. Du mußt wieder etwas tun, um auf andere Gedanken zu kommen.«
Ich nickte langsam. »Vielleicht hast du recht, Lance.«
»Ich habe bestimmt recht«, stellte der Parapsychologe richtig.
»Weißt du, wie weit das schottische Hochland von London entfernt ist?«
»Luftlinie etwa vierhundert Kilometer.«
»Du hast doch nicht etwa vor, da mit dem Auto hinzufahren?«
»Eigentlich schon.«
»Darf ich mal telefonieren? Das können wir bestimmt einfacher haben.«
»Bedien dich«, sagte Lance.
Ich rief meinen Partner Tucker Peckinpah an. Ich arbeitete als Privatdetektiv für ihn. Er hatte mich auf Dauer verpflichtet und mir ein großzügiges Konto eingerichtet, mit dem ich ohne finanzielle Sorgen meinen Lebensunterhalt bestreiten konnte.
»Tony«, freute sich der Industrielle, als er meine Stimme hörte. Er war ein Glückskind. Was für Geschäfte er auch immer anbahnte, sie wurden ein Erfolg, und er wurde auf diese Weise zwangsläufig immer reicher. »Wie geht es Ihrem Freund?«
»Ich wollte, es ginge ihm besser.«
»Er wird schon wieder.«
»Das meint Lance Selby auch.«
»Lance hat recht. Silver kommt wieder auf die Beine. Denken Sie an meine Worte. Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
»Ja, Partner. Ich brauche einen Hubschrauber, der Lance und mich, sobald wie möglich, ins schottische Hochland bringt. Da scheint etwas faul zu sein. Es wäre gut, wenn wir uns darum kümmern würden.«
»Der Helikopter steht vollgetankt, samt Pilot, in einer halben Stunde für Sie bereit, Tony.«
»Vielen Dank, das hilft uns schon viel weiter. Sie ermöglichen fast alles…«
»Sie kennen meine Devise: Unmögliches erledige ich für Sie sofort. Nur wenn Sie Wunder erwarten, müssen Sie sich ein wenig gedulden.«
Ich legte auf und wandte mich an Lance. »Geritzt. In einer halben Stunde können wir abfliegen.«
***
Die ganze Nacht hatte sie um ihren Mann geweint, kein Auge zugetan, immerzu an Martin gedacht. Bangend, hoffend. Zwei Männer waren vor ihm schon verschwunden und nicht wiederaufgetaucht. Hatte ihn dasselbe Schicksal ereilt? Oder bestand noch Hoffnung, ihn wiederzusehen? Clytie Wyngard betete zu allen Heiligen, die ihr einfielen. Als der Tag anbrach, war sie so fertig, daß sie in der Küche zusammenbrach. Ohnmächtig lag sie auf den kalten Fliesen. Sie wußte nicht, wie lange. Als sie zu sich kam, rief sie den Arzt an. Er kam, gab ihr eine Spritze und schickte sie ins Bett. Aber da hielt sie es nicht lange aus.
Sie stand auf und zog sich an. Die Injektion hatte ihr gutgetan. Um wieder zu Kräften zu kommen, aß Clytie etwas, jedoch ohne Appetit.
»Er ist nicht tot«, flüsterte sie trotzig, während sie mit zerzaustem Haar am Küchentisch saß. »Es hat ihn nur jemand fortgeholt. Aber er kommt wieder. Er läßt mich nicht allein. Nicht Martin. So etwas tut er nicht.«
Plötzlich stutzte sie.
Was war das?
Lief unten in der Druckerei nicht eine der Maschinen? Doch! Ja! Martin war zurückgekehrt!
Sie sprang auf. »Martin!« schrie sie vor Freude. Beinahe hätte sie den Stuhl umgeworfen. »Martin!« Sie lachte vor Glück. »Ich wußte es! Ich wußte, daß du wiederkommst!« Sie eilte aus der Küche, zur Wendeltreppe, lief die Stufen hinunter.
Unten angekommen, schaute sie sich suchend um. Sie konnte ihren Mann nicht sehen. Aber eine der Maschinen -jene, die Wyngard in der vergangenen Nacht eingerichtet hatte - lief. Ein bedrucktes Flugblatt nach dem anderen warf sie aus.
Aber wo war Martin?
»Martin?« rief Clytie. »Martin, wo steckst du? Ich bitte dich, versteck dich nicht, komm hervor. Ich hatte solche Angst um dich. Wo warst du?«
Doch ihr Mann zeigte
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