Glaesener Helga
war entstanden, als sie ihr in großer Hast beim Ankleiden für den Empfang von Signora Secci geholfen hatte. Im Grunde erleichternd, dass auch jemand wie Irene einmal etwas falsch machte.
»Wenn Sie mir sagen, Signorina Barghini, welche Strümpfe Sie tragen wollen, suche ich sie Ihnen gern heraus«, tönte Irenes missbilligende Stimme aus der Schlafkammer.
Cecilia streckte die Hand nach einem Porzellanteller aus und aß ein Praliné. Ihr war ein wenig übel.
In dieser Nacht schlief sie unruhig. Sie träumte von den Schauspielern, die in Signora Bondis Burgruine ihre Possen aufführten. Die schöne Angela war zu König Deramos Gemahlin geworden, aber der König liebte sie nicht mehr. Stattdessen kam er auf die Zuschauertribüne und versuchte Cecilia zu erwischen, die sich zwischen den Zuschauerbänken herumdrückte und ihm unauffällig zu entkommen suchte. Irgendwann fiel ihr auf, dass es Inghiramo war, der unter dem Gewand des Königs steckte. Die Zuschauer klatschten wie besessen. Sie hielten die Jagd für einen Teil des Spiels, und Cecilia versuchte verzweifelt, ihren Text aufzusagen, weil sie das Gefühl hatte, sie müsste die Aufführung vor der Blamage retten. Oder sich selbst. Beides schien zusammenzuhängen. Signora Secci pikte mit einem Bratspieß in die Wolken, um den Regen hervorzulocken …
Als Cecilia schweißgebadet die Augen aufschlug, war es dunkel in ihrem Zimmer. Es tröpfelte gegen die Fensterscheibe. Über die Stadt musste ein Schauer hinwegziehen. Sie versuchte, auf der deutschen Uhr die Zeiger zu erkennen, aber es war unmöglich. Stattdessen sah sie Inghiramo vor sich, wie er ihr stolz seine Füße präsentierte, die in weißen Strümpfen mit aufgestickten Schmetterlingen steckten. Waren die Füße das letzte Bild ihres Traums gewesen?
Er ist hier in der Wohnung gewesen, dachte Cecilia. Er hat meine Wäsche durchwühlt und mich bestohlen, weil er sich einbildete, damit etwas Romantisches zu tun. Der Mann ist verrückt geworden. Er hat seinen Verstand bereits in Neapel verloren. Dort hatten sie ihm zugejubelt, und dort hätte er glücklich sein müssen, denn das Theater war seine Obsession. Für den Erfolg seiner Dramen hätte er noch vor einem Jahr seine Seele gegeben.
Wenn er nun ihretwegen auf diesen Erfolg pfiff, wenn er ihretwegen Carlo Gozzis alberne Märchen inszenierte, dann musste er sie selbst zu seiner neuen Obsession erhoben haben – Cecilia Barghini, die Liebe meines Lebens. Er hatte seine Gefühle von der Bühne ins wirkliche Leben transportiert. Verrückter ging es gar nicht mehr.
Sie blickte zu der Stelle, wo die Kommode stand, und stellte sich vor, wie seine feingliedrigen Finger ihre Wäsche auseinanderrissen, wie er einen ihrer Strümpfe an seine Lippen presste. Ihr wurde erneut übel. Sie sah sich wieder in Großmutters Gartenlaube mit den Picknickdecken, der Geruch nach Staub und billigem Wein füllte die Luft. Inghiramo nahm sich, was er haben wollte. Er tat ihre kraftlosen Versuche, sich zu wehren, mit einem festeren Zupacken und keuchenden Liebesschwüren ab, und seine Finger krabbelten unter ihre Röcke …
Der Albtraum war noch zu nah und die Nacht zu finster, als dass Cecilia sich gegen die Bilder und die Abscheu, die sie erzeugten, hätte wehren können. Sie merkte, dass ihr Tränen aus den Augen quollen, und presste sich ein Kissen aufs Gesicht, um zu verhindern, dass Irene ihr Weinen hörte.
Er war in diesem Zimmer gewesen. Er hatte in ihrer Wäsche gewühlt. Er hatte ihren Strumpf gestohlen. Er war tatsächlich verrückt.
Am nächsten Morgen stand sie mit Kopfschmerzen und einem überwältigenden Gefühl des Grolls auf. Sie ließ sich von Irene Wasser heiß machen und schrubbte ihren Körper, bis er schmerzte. Während ihre Haut sich rötete, überlegte sie ihr weiteres Vorgehen.
Ich bin klüger geworden, Inghiramo. Mich beeindrucken weder weiße Rosen noch Schmerz- oder Eifersuchtsszenen und schon gar keine dümmlichen Diebstähle. In deinen Dramen mögen die Helden damit Erfolg haben, aber ich lebe in der Wirklichkeit. Während sie wütend mit der Bürste die Haare malträtierte, weitete sie ihren Ärger auf Rossi aus, der ihr so großmütig die Ehe angeboten hatte. Sie ärgerte sich über Großmutter Bianca, die ihren verschmähten Verlobten immer wieder aufwärmte und präsentierte wie den Rest einer Mahlzeit … Über Irene, die schon wieder klopfte.
»Nein, ich brauche keine Hilfe. Ich rufe Sie, wenn ich Sie benötige.« Sie bürstete zu heftig. Der
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