Glaesener Helga
hinter dem Principale aufgetaucht war, schlug ihm scherzhaft mit dem Fächer auf die Schulter. »Kein Mensch sollte auf Gozzi herabsehen. Ist es denn nicht gerade das Märchen, das die Seele des Volkes immer wieder berührt? Sehen wir nicht hinter den Masken der Komödianten unsere eigenen Gesichter? Hören wir in ihren Scherzen nicht die letzten Wahrheiten, die wir für gewöhnlich sogar uns selbst verschweigen?« Sie hatte die Worte auswendig gelernt, um sie bei dieser Gelegenheit vorzutragen
– das war deutlich zu hören. Wo fand man so etwas? In einem Frauenjournal? Cecilia sah, wie Inghiramo ungeduldig die Lippen vorstülpte.
Aber es war Rossi, der ihrer Gastgeberin augenzwinkernd widersprach. »Die Wahrheit, dass der König immer edel und die Smeraldinen kleine Luder sind? Dass der Kaufmann voller Raffgier steckt und der Dottore aufgeblasen wie ein Weihnachtshähnchen ist?«
» Das nenne ich wahr gesprochen, besten Dank für die Verteidigung«, warf Smeraldina keck ins Gespräch. Sie schüttete das nächste Glas Wein herunter, ihre Wangen waren gerötet.
»Wahr – wenn man die Nuss betrachtet, ohne sich die Mühe zu geben, die Schale zu knacken. Oder wenn die Fähigkeit gebricht, die Nuss zu knacken«, spöttelte Inghiramo, vielleicht um seine Wohltäterin zu unterstützen, wahrscheinlich aber, weil er es nicht ertragen konnte, mit Rossi einer Meinung zu sein.
Sie sollen aufhören, dachte Cecilia. Inzwischen war jedes Auge auf die kleine disputierende Gruppe gerichtet.
»Das Volk«, erklärte Signora Secci salbungsvoll, »braucht keinen Goldoni und noch viel weniger einen Molière oder wie diese Aufklärer alle heißen. Es zeugt von einer aus der Nächstenliebe geborenen Klugheit, die Menschen in jener Einfalt zu erziehen, die ihnen ein zufriedenes Leben ermöglicht. Der Dichter, der das Volk mit Sophismen aufzuwecken sucht und sie mit gefährlicher Erhabenheit in Unruhe versetzt und sie so der traurigen und gerechten Bestrafung durch die Regierenden aussetzt, ist der wahre Tyrann.« Das war ebenfalls auswendig gelernt.
Rossi blinzelte. Er beugte sich zu Inghiramo vor. »Dahin geht Ihr Bestreben? Die Menschen in Einfalt zum Guten zu erziehen? Ein Hüter der Moral? Ein Mann, der um des pädagogischen Effektes willen die Finger in die Tinte taucht?«
Inghiramo kochte vor Wut. Seine Augen funkelten. Aber er schwieg. Was hätte er auch sagen sollen, die verführte und verlassene Geliebte an der Seite?
»Mein lieber Giudice!«, lächelte Signora Secci, taub für Untertöne, und drohte Rossi neckisch mit dem Fächer. »Wenn man Sie hörte, möchte man meinen, aus Ihnen spräche ebenfalls ein sogenannter Aufklärer. Wie unfreundlich von Ihnen. Hat unser guter Granduca, der Reformer dieses Landes, das verdient?«
»Lang lebe Granduca Leopoldo«, nuschelte Smeraldina, die auf der Schwelle zur Trunkenheit stand.
»Tatsächlich möchte man meinen«, fuhr die Signora fort, »gerade in Leopoldo jenen edlen König Deramo zu erkennen, von dem der König Hirsch erzählte. Handeln nicht beide wie Väter an ihrem Volk, gerecht und gütig? Auch wenn ich nicht alle Gesetze unseres Granduca billigen kann, so ist es doch bewundernswert zu sehen, wie er sich aufreibt für das Wohl seiner Untertanen. Ein Jammer, dass er dem Theater nicht zugeneigt ist. Ansonsten könnte er die Lust des Volks am Fabulieren nützen, um es am sanften Band der Dichtung auf dem Pfad der Tugend zu halten, den er vor ihm aufgetan hat.«
Rossi musste lachen.
»Was amüsiert Sie, Giudice?«
Nun, es war bekannt, dass der Granduca, der es liebte, Moral zu predigen, selbst durchaus ein Faible für hübsche Damen hatte. Da war die Gräfin Erdödy gewesen, seine große Liebe aus der Jugendzeit, der er eine Villa an der Straße nach Fiesole gemietet hatte. Da waren Kammerzofen seiner Granduchessa gewesen, … eine neapolitanische Gräfin, … eine Tänzerin …
Die Großherzogin war hässlich, anderthalb Jahre älter als ihr Gatte, und die zahlreichen Schwangerschaften hatten ihrem Aussehen nicht gutgetan. Florenz blickte mit einem gewissen Mitgefühl auf die Affären seines Souveräns. Aber natürlich wurde in den Salons gespottet, wenn der Granduca wieder einmal einen seiner Beamten losschickte, um dieser oder jener Schönen einen Gunstbrief zu übermitteln – und im nächsten Moment seinen Untertanen eheliche Treue predigte.
»Ich denke«, meinte Signore Secci etwas lauter, um auch weiter oben an der Tafel verstanden zu werden, »in diesem Moment wäre ein
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