Glaesener Helga
setzen.«
Der angeklagte Priester begann mit volltönender Stimme zu beten, und Cecilia machte sich auf den Weg zum Stadttor.
Der Platz neben dem Friedhof lag friedlich in der Vormittagssonne. Sie ließ ihren Blick über die Hügel schweifen und über den Weinacker, auf dem ihr vor einem Jahr mitten in der Nacht der nackte Vincenzo begegnet war. Einen Moment stellte sie sich ihn vor, wie der junge Mann in ihrer Kommode die Strumpflade durchwühlte, mit diesem schrecklich angespannten und zugleich abwesenden Blick. Wau !
Vincenzo hasste sie. Diese Art, ihr Angst einzujagen, hätte ihm gefallen, sie wäre genau nach seinem Gusto gewesen. Ja, ihm war der Diebstahl ebenfalls zuzutrauen. Sollte sie Rossi von der Sache erzählen? Und was, wenn es doch Inghiramo gewesen war, der sich den Strumpf geholt hatte? Um ihn an seinem Herzen aufzubewahren? Sie kicherte vor Nervosität und weil die Vorstellung so komisch war.
Unruhig ging sie einige Schritte den Weg hinab. Nicht weit entfernt sprang ein Bach über runde Kiesel. Auf dem ockerfarbenen gewundenen Weg, der nach Marliana führte, zockelte ein zweirädriger Kutschwagen herauf, auf dessen Bank sich ein junges Pärchen verliebt aneinanderschmiegte. Ein Bauer beackerte sein Feld, und während er gemächlich mit dem Ochsen die Furche zog, stillte die Bäuerin am Feldrand ihren Säugling.
Vincenzo oder Inghiramo? Oder hatte am Ende doch Irene einen schlechten Tag gehabt?
Cecilia schlenderte am Weinacker entlang. An diesem sonnigen Vormittag, der den Regen vertrieben hatte, war sie mit Sicherheit nicht in Gefahr. Kurz hinter dem Friedhof traf sie den Küster von St. Pietro Apostolo, der den Hut zog und ihr zerstreut einen guten Tag wünschte, und wenig später eine schüchterne, sehr hübsche Kinderfrau mit Zwillingen an der Hand. Als der Kutschwagen näher kam, erkannte sie, dass die Zügel von Marianna Bossi geführt wurden, jener jungen Dame, die mit ihrer Frisur Signora Seccis Missfallen erregt hatte. Cecilia grüßte, und Marianna war so freundlich, anzuhalten. Ihre Wangen waren gerötet, sie sprühte vor Übermut und war offensichtlich zu einem Schwätzchen aufgelegt.
»Signora Barghini, ist es nicht ein Glück, endlich wieder in die Natur hinauszukommen? Ich habe zu Signore Bossi gesagt: Noch eine Woche Winter, und ich werde zum Vogel und fliege ins Land der Mohren.« Atemlos hantierte sie mit den Zügeln.
Cecilia wollte antworten, aber in diesem Moment ertönte das Geräusch einer weiteren Kutsche – einer sehr eiligen Kutsche –, die dieses Mal aus Richtung des Stadttores kam.
Sie drehte sich um. Zum ersten Mal, seit sie in Montecatini war, erlebte sie einen munteren und aufgeregten Signore Secci. Der Bankier saß vornübergebeugt auf dem Bock seiner Calesse und feuerte die Pferde an, während neben und hinter ihm Rossi, Zaccaria und Bruno sich an die Kutschstreben klammerten. Cecilia sah, wie Rossi ihm eine Bemerkung ins Ohr brüllte.
Secci nickte und begann die Pferde zu zügeln, so dass er kurz vor dem Wagen der Bossis zu halten kam. Die Tiere schnaubten und rissen am Geschirr.
»Allein hier draußen?« Rossis Frage kam äußerst unwirsch.
»Nicht allein. Schau dich um«, erwiderte Cecilia bissig.
Sie sah ihm an, dass er darauf gern einiges geantwortet hätte, aber was auch immer die Männer vorhatten – es musste ungeheuer eilig sein. »Signore Bossi, Signora … wenn ich Sie bitten dürfte – nehmen Sie die junge Dame mit in die Stadt zurück.«
»Nicht nötig, vielen Dank«, sagte Cecilia.
»Doch nötig.«
»Ich gehe spazieren.«
»Es ist doch nötig.« Rossi griff Secci in die Zügel. Er schaute Cecilia an, er wartete.
Marianna bekam runde, neugierige Augen. Was ließe sich daraus machen, wenn sie erzählen konnte, dass Signorina Barghini sich mit dem Giudice auf offener Straße stritt! Nein … nein, das war unmöglich. Kein Skandal. Kein Regenguss für die Pflänzchen des Klatsches. Cecilia knickste und bestieg damenhaft und wütend die Kutsche.
»Irgendetwas passiert?«, wollte der junge Bossi wissen.
»Die Mönche haben ein paar von den Saboteuren geschnappt«, gab Rossi ungeduldig Auskunft.
»Und jetzt machen sie Kleinholz aus ihnen«, ergänzte Zaccaria, und schon schossen sie in einer Staubwolke davon.
»Saboteure! Wie aufregend.« Marianna nutzte die Gelegenheit, sich noch enger an ihren Ehemann zu schmiegen. Er grinste und legte den Arm um sie.
»Da die liebe Signorina Barghini noch ein wenig die frische Luft genießen möchte … Meinst du nicht,
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