Glaesener Helga
lagen die staubigen Wege, die in die Höhenzüge führten. Das Leihpferd, dessen Namen Cecilia vergessen hatte, zog sie willig bergan. Nach mehreren Stunden rollten sie einem überwältigenden Sonnenuntergang entgegen, der die Nebel, die sich in die Täler legten, in goldene Feenschleier verwandelte. Auf einer fernen Berggruppe thronte eine schwarze Burg. Ulmen salutierten am Weg, der zu ihr hinaufführte, wie versteinerte Soldaten aus einem Märchenland, und es roch nach Staub und Frühling.
»Wo ist Adolfo?«, fragte Rossi. Seine ersten Worte.
Sie erklärte ihm, dass sie ihn in Florenz verloren hatte. Eine weitere Viertelstunde verstrich, ehe er sich wieder zu Wort meldete. »Ich bin jetzt müde.«
Schön, dachte Cecilia. Dafür hätte er sich keinen besseren Platz aussuchen können. Die Burg war verschwunden und weit und breit kein Haus in Sicht. Nur Hügel, auf denen die Abendsonne das Gras zum Lodern brachte. Am Rand der Weiden hing wie eine Kürbislaterne der orangerote Mond.
»Ich zaubere dir ein Bett.«
Sie zauberte ihm tatsächlich eines. Hinter dem nächsten Hügel, in einer Senke versteckt, entdeckte Cecilia eine schäbige, von vielen Stürmen gezauste Bauernkate mit einer noch schäbigeren Scheune im Geleit. Die Zäune, die das Gehöft umgaben, waren so löchrig, dass eine Kuh hätte hindurchmarschieren können.
»Das ist es, Rossi«, sagte sie, indem sie in einer großen Geste den Arm ausbreitete. »Das beste Gasthaus am Ort.« Sie lenkte die Vittoria den Wiesenhang hinab. Ein Hund bellte – Gütiger, wie sie dieses Geräusch hasste! –, und der Bauer, der an Schäbigkeit mit seiner Behausung konkurrierte, trat ins Freie. Nachdem Cecilia ihr Anliegen vorgetragen hatte, siedelte er mit seiner Familie in die Scheune um und überließ ihnen den Raum, aus dem seine Kate bestand, als Unterkunft. Seine Frau trug ein schlafendes Ferkel auf dem Arm und zerrte eine an ihrem Rock hängende Kinderschar mit sich.
Rossi ärgerte sich, weil er Cecilias Hilfe brauchte, um von der Kutsche und in die Kate zu kommen. Als er endlich auf dem Strohlager neben der Feuerstelle lag, ging sie zur Scheune herüber und bat den Bauern um Wundsalbe. Natürlich gab es in diesem Jammertal keine Medikamente, aber er bot ihr einen stinkenden Sud an, den er selbst gekocht hatte und den er seinem Ochsen aufs Fell rieb, wenn der sich wund gezogen hatte.
»Genau das Richtige«, sagte Cecilia.
Als sie ins Haus zurückkehrte, fand sie ihren Giudice schlafend. Sie überlegte kurz, ob sie ihn wecken sollte, um das verdammte Hemd von den verdammten Wunden zu ziehen, die sie immer noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, aber sie entschied sich dagegen. Inzwischen war sowieso alles verklebt. Stattdessen packte sie Holzscheite, die sie in einer Nische fand, auf die Glut in der Mitte der Hütte und schaute hustend dem Rauch nach, der sich durch das Loch im Dach kringelte. Irgendwann fielen ihr die Augen zu.
Sie erwachte davon, dass Rossi sie anstarrte oder vielleicht auch, weil sie der Rücken so schmerzte. Es war inzwischen völlig dunkel geworden, nur das rauchende Feuer spendete ein wenig Licht.
»Zieh dir die Jacke aus«, befahl sie. Er gehorchte, und sie setzte einen Kienspan in Brand und rammte ihn neben seinem Strohlager in die Erde.
Es wurde eine wüste Schweinerei. Sie musste das Hemd von den verkrusteten Striemen reißen, und das tat ihm weh, was sie an seinen Händen sah, die sich ins Stroh krallten. Er blutete, und sie benutzte den sauberen Teil seines Hemdes, um das Blut zu stillen. Ihre Wundsalbe gefiel ihm nicht. »Cecilia, das stinkt wie aus der Latrine.«
»Ochsensalbe.« Sie rieb das Zeug in die Wunden hinein. Er hatte recht, es roch, als hätte jemand in einen Kräutertopf gepinkelt und den Sud trocknen lassen. Rossis Flüche hätten den Stinche erröten lassen. »Wie konntest du nur!«, überbrüllte sie ihn, di Vitas Stoßseufzer wiederholend. Sie spürte die Hitze, die von ihm ausging, sicherlich hatte er Fieber. » Ziegenbock ! Wie konntest du nur!« Als das Werk vollendet war, brauchten sie beide eine Verschnaufpause.
Cecilia betrachtete den verarzteten Rücken. Zwischen den frischen Striemen zogen sich blasse, vernarbte Streifen, kreuz und quer wie ein Strickmuster. Einige mussten aus seiner Kindheit stammen, denn die Narben hatten sich mit dem Wachstum gedehnt. Heiligenmalerpack, dachte Cecilia und wischte sich eine Träne fort, die noch vom Zorn oder schon vom Mitleid stammte. Sie fragte ihn nach seinem
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