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Glaesener Helga

Glaesener Helga

Titel: Glaesener Helga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfe im Olivenhain
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Vater.
    Das Fieber und die Schmerzen schienen ihn redselig zu machen. Während das Feuer kokelte und die Hütte in eine Räucherstube verwandelte, erzählte er ihr, dass er einen Bruder mit dem Namen Nando gehabt habe. Der Junge hatte gerade zu krabbeln begonnen, als der Hungerwinter kam. »Du hast das Essen auf dem Tisch und weißt, dass es nicht für alle reichen wird. Und morgen auch nicht und übermorgen auch nicht. Mutter hatte die Milch unserer einzigen Ziege beiseite gestellt für Nando.«
    Sie hatte es gut gemeint, und weil sie ihren Mann kannte, hatte sie die Milch in einem Bodenloch im Garten versteckt. Der Vater war dahintergekommen, und von da an gab es kein Essen mehr für Nando. Der Junge war verhungert, und die Mutter kurz darauf gestorben. »Sie war so duldsam«, sagte Rossi. Es klang nicht, als wären die Worte freundlich gemeint.
    »Was blieb ihr denn übrig?«
»Grazia war niemals duldsam.«
Cecilia blickte auf die vernarbten Striemen und
    fand, dass die Mutter eine Verteidigerin verdiente. »Wenn sie deinen Bruder nicht geliebt hätte, dann hätte sie die Milch nicht versteckt.«
    »Lieben reicht eben nicht.«
»Nicht jeder Mensch ist wie Grazia.«
Er drehte sich auf die Seite und sah sie mit glühendem Gesicht an. »Weißt du, warum ich sie verlassen habe?«
    »Nein. Ich …«
»Meine Hände!« Er streckte ihr seine Rechte entgegen, als wäre sie eine Wahrsagerin. »Ich war siebzehn, als das Buch von Beccaria erschienen ist. Cesare Beccaria: Über Verbrechen und Strafen . Dieser Mann ist ein Visionär, seiner Zeit um hundert Jahre voraus. Ich habe damals gerade die Universität in Wien besucht und das Buch verschlungen. Was er alles verlangte! Die Unschuldsvermutung zugunsten des Tatverdächtigen … Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, … ausreichend Zeit für die Strafverteidigung, … die strikte Bindung des Richters an das Gesetz, … Willkürverbot für die Polizei … Ich war wie berauscht, Cecilia, von den Möglichkeiten, die sich plötzlich auftaten. Er hat die Abschaffung der Folter und der Todesstrafe verlangt. Ein italienischer Spinner, haben sie gesagt. Aber Sonnenfels hat ihn verteidigt. Joseph von Sonnenfels war einer meiner Professoren und schon damals ein mächtiger Mann. Er hatte Einfluss auf die Kaiserin. Und mit einem Mal schien alles möglich, verstehst du?«
»Und was war mit deinen Händen?«
»Das ist die eine meiner Hände. Die CompilationsKommission. Wahrhaftig, ich kann nicht alles durchsetzen. Aber das Barbarentum der Folter werden wir abschaffen, und die Todesstrafe auch. Leopoldo ist so gut wie überzeugt. Er hat bereits die Steuerprivilegien für den Klerus und den Adel aufgehoben und seine Bodenreform begonnen. Durch die Gemeindereform hat er Bauern und Händler in die Verwaltungen berufen. Er hört auf seine Kommission.«
Rossi lag wieder auf dem Bauch, weil das Liegen auf der Seite an seinen Wunden riss. Sie fuhr ihm kopfschüttelnd durch das Haar. »Er hat dir wehgetan.«
»Was?«
»Leopoldo.«
»Ach Gott …«
»Und die andere Hand?«
»Meine andere Hand ist der Richterstuhl.« Er brummelte, der Begeisterungsrausch hatte ihn angestrengt. »Das Recht, Cecilia, muss nicht nur formuliert, es muss auch durchgesetzt werden. Ich habe dafür gesorgt, dass Carlo Panaris Kuh aus Gilbertos Sonnenblumenfeld verschwunden ist. Das mag lächerlich klingen, ist es aber nicht. Für Gilberto hängt eine Menge an seiner Sonnenblumenernte. Ich bin stolz darauf, ihm zu seinem Recht verholfen zu haben.« »Ich war bei der Gerichtsverhandlung. Du hast dich fabelhaft geschlagen.« Cecilia lächelte.
»Grazia wollte mir beide Hände binden«, sagte Rossi, und sie hörte auf zu lächeln, weil er so niedergeschlagen klang. »Ich will ihr nichts vorwerfen. Wir haben geheiratet, aber sie hatte dabei ein ganz anderes Leben im Auge als ich. Sie wollte in den Salons glänzen. Sie war eine begabte Gastgeberin. So eifrig und voller Lebensfreude und Ideen. Ihr Schwung hat das Haus beben lassen.«
Cecilia versuchte sich Rossi in einem bebenden Haus vorzustellen, während er Gäste begrüßte, die ihn zu Tode langweilten. Sei freundlich , sei zuvorkommend , mein Schatz . Schmeichle ihnen . Du weißt , du musst sie vergessen machen , woher du kommst …
»Es war ein Missverständnis. Und es wäre an mir gewesen, dieses Missverständnis vor meinem Antrag aufzuklären, denn Grazia hat niemals einen Hehl daraus gemacht, was sie wollte. Es war meine Schuld.« »Natürlich, Rossi.« Wo Frauen

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