Glaesener Helga
ein wunderschöner Morgen. Der Hügel lag in jenem besonderen Schimmer, der sich aus dem Sonnenlicht und dem Dunst der Wiesen speist. Ein Sperling flog von einem Stein auf. Vor dem Waldessaum stand ein Reh und äugte zum Haus, bevor es sich gemächlich entfernte.
»Irgendwann verliert man die Nerven«, sagte Rossi.
»Ich habe ein Gesicht gesehen und einen Pistolenlauf.«
»Es war reichlich düster in der Hütte.«
Zögernd ging sie um das Haus herum, aber auch dort fand sich nichts, außer zwei schwarzen Ziegen, die in ihrem Pferch standen und sie anglotzten. Sie schaute sich den Platz unter dem Fenster an. Der Bauer hatte ihn mit Feldsteinen gepflastert, vielleicht weil dort gebuttert wurde. Ein glänzender Überzug aus Tau lag auf den Steinen. Keine Spuren.
»Hier muss er gestanden haben.« Im Lehmflechtwerk prangte ihr Loch.
Rossi sah sich die Verwüstung an und verschwand hinter der Hausecke.
Langsam ging Cecilia hinüber zu dem Stall, der ihren Gastgebern als Schlafraum für die Nacht gedient hatte. Sie rüttelte an der Tür, konnte sie aber nicht öffnen. Drinnen erkundigte sich eine verschlafene Stimme, wo, diavolo … ach ja, die Gäste. Sie hörte Geräusche, als würde sich jemand erheben. Ein Eimer oder etwas Ähnliches fiel um. Eine Kuh muhte. Jemand pochte von innen an die Tür. »Machen Sie auf!«
Bitte? Sie trat zurück. Die Tür besaß zwei Riegel. Der untere hing herab, der obere, der sich über Augenhöhe befand, war in die Halterung gelegt worden. Jemand hatte den Stall verschlossen. Von außen.
Einen Moment stand sie, ohne sich zu rühren. Im nächsten stemmte sie den Riegel. Es schien Stunden zu dauern, bis sie ihn hochgewuchtet hatte. Dieser Rost … Diese verfluchten, ungeschickten Finger. Und irgendwo stand der Kerl und beobachtete sie und … Geh auf .
»Er war doch hier!«, schrie sie Rossi und den Bauern an. Der eine kam gerade um die Ecke, der andere blinzelte verschlafen ins Morgenlicht. »Er war hier!«
Rossi hatte ebenfalls etwas gefunden. Als er hinter dem Ziegenpferch weitergegangen war, hatte er einen Schuppen entdeckt, in dem der Bauer Alteisen aufbewahrte. Dort musste ein Pferd gestanden haben. Die Hufabdrücke frisch, die Stiefelabdrücke, die zu den Hufen führten und das Gras niedergedrückt hatten, ebenfalls frisch.
»Er war hier«, wiederholte Cecilia, und es war ihr gleich, dass der Bauer sie anstarrte.
»Ja«, sagte Rossi.
18. Kapitel
M an hatte sie beinahe ermordet – und die Sonne schien weiter, die Leute gingen ihren Geschäften nach, Anita buk Schiaccia mit Trauben, Rossi berief eine Versammlung ein …
»Geh mit Dina spazieren«, sagte er. »Aber nur hier in der Stadt. Meidet einsame Plätze … Nicht rauf zur Ruine – als Beispiel …«
»Ja doch, ja!«, fauchte sie. Als hätte sie ein Bedürfnis nach einsamen Plätzen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie das Haus gar nicht mehr verlassen.
Aber dann tat die frische Luft ihr doch gut. Sie trafen einen Mann mit einem Karren voller Töpferwaren, der zum Markt wollte, sich aber im Wochentag vertan hatte – ein Unglück, das er ausgiebig mit einer Wäscherin besprach, die in ihrem Bottich Weißwäsche einweichte. Hausfrauen reinigten die Haustüren und die Wäscheleinen, und eine von ihnen schenkte Dina einen Speckfladen. Der Apotheker wünschte ihnen einen guten Tag und bat sie, Rossi an den Billardabend zu erinnern. Es gab sie also noch, die Welt, in der die Menschen einander wohlgesonnen waren. Nicht Vincenzo – die schwatzende Gesellschaft in den Frühlingsgassen bildeten die Wirklichkeit.
»Was ist denn nun in Marliana passiert?«, fragte Cecilia Dina.
Es war traurig genug. Offenbar hatte die Äbtissin die Kleine von Anfang an nicht leiden können. Die anderen Mädchen schienen gespürt zu haben, dass der Neuankömmling zum Sündenbock gemacht werden sollte, denn sie hieben bereitwillig in die Kerbe. Nicht einmal mit Grazia hatte es geklappt. »Hat mir aber nichts ausgemacht«, behauptete Dina. »Aber ich hab den Keller nicht gemocht.«
Der Keller war ein schwieriges Kapitel. Es musste sich um eine Art Karzer handeln, und Dinas Hand schob sich in die von Cecilia, als sie davon erzählte. »Es ist wegen Domizio«, sagte sie und meinte damit ihren toten Freund, den Dieb und Herumtreiber, der seinen kriminellen Drang mit dem Leben bezahlt hatte. »Ich hab doch damals an seinem Grab gesessen, und seitdem muss ich immer daran denken, wie eng es in einem Sarg ist und wie dunkel, und dass er es gar nicht
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