Glaesener Helga
seiner Schwester, die nach einem Sturz beim Apfelernten wochenlang Kopfweh gehabt hatte – und dann war sie gestorben. Irr war sie natürlich nicht gewesen, aber trotzdem: So etwas brachte einen Menschen schon zum Nachdenken.
Er setzte Cecilia vor ihrer Wohnung ab. Auf ihren Wunsch wartete er dort, bis sie die Tür hinter sich zugeschlossen hatte.
Cecilia nahm ihren Hut ab und betrachtete sich einige Momente in dem Spiegel, der ihr ein blasses, übermüdetes Geschöpf mit dunklen Augenringen zeigte, das aussah, als müsste es für wenigstens eine Woche das Bett hüten. Danke Vincenzo ! Sie seufzte. Dann ging sie in den Salon, wo Irene an dem kleinen Tisch über einem Brief saß. Neben dem Tintenfässchen lag ein blaues Stück Papier. Die Zofe war so eifrig bei der Sache, dass sie ihre Herrin gar nicht bemerkte.
Cecilia betrachtete sie. Die strenge Frisur, das Gesicht, das nicht weniger blass als ihr eigenes wirkte, die senkrechten Falten, die sich zwischen ihren Augen gebildet hatten und die ihr einen Ausdruck ständiger Unzufriedenheit verliehen.
»Allgütiger!« Irene zuckte zusammen und starrte erschreckt erst zu ihrer Herrin und dann auf den Tintenklecks, den sie fabriziert hatte. »Ich habe Sie gar nicht kommen hören.« Sie schob ihre Hand über den Brief und beschmierte sie dabei mit Tinte. »Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie schon … Hatten Sie eine gute Fahrt, Signorina?«
Cecilia blickte verwundert auf die Hand, die den Brief abdeckte. Der Gedanke, Irene könnte etwas tun, was ihre Herrin missbilligte, war absurd. »Irene, ich brauche morgen die warmen Strümpfe. Die grünen. Es ist immer noch kalt, auch wenn die Sonne scheint.« Sie starrte auf den blauen Papierbogen. Er war zerknittert gewesen und dann offenbar geglättet worden, wahrscheinlich mit dem Plätteisen. »Was ist das, Irene?«
Sie wusste es bereits, aber sie wollte es nicht glauben.
»Gar nichts.« Die Zofe nahm das Papier auf und zerknüllte es.
So wie ich es zerknüllt habe, dachte Cecilia. Sie ging zum Tisch und schaute auf den Papierbogen, über den der Tintenklecks ein trauriges Muster gezogen hatte.
Geehrte Signora Rastelli , ich fürchte , mit meinem letzten Fund den Argwohn bestätigen zu müssen , den Sie gegen Ihre Enkelin hegen . Tatsächlich flatterte mir beim Abbürsten eines Mantels ein Billett in … das die schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen … . Signore Inghiramo …
»Sie haben geschnüffelt.«
Irene schüttelte den Kopf.
»Und Sie berichten meiner Großmutter.« Der Beweis lag auf dem Tisch. Es war lächerlich, dass Irene es leugnete.
… Signore Inghirami … der Signorina in dem Billett , das beizufügen ich nicht wage , da … vermissen könnte , bitten … »Irene!«
»Es ist anders, Signora. Es war die Sorge, die mich bewogen hat …«
»Seit wann?« Törichte Frage. Seit Großmutter das erste Mal den Palazzo aufgesucht hatte. Eine Münze in die Hand. Dann vermutlich regelmäßige Zahlungen. Berichten Sie von allem , was Ihnen auffällt , Kindchen …
Die Erstarrung wich und machte einer Wut Platz, die sich anfühlte wie ein Schwall kochenden Wassers. »Sie verlassen das Haus, Irene. Jetzt, noch in dieser Stunde.«
Die Zofe wurde kreidebleich.
»Bringen Sie mir den Schlüssel, wenn Sie fertig sind mit Packen.« Cecilia ging hinüber ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie legte sich auf ihr Bett und ballte die Fäuste. Zu hart, flüsterte eine leise Stimme. Aber es gab noch die andere Stimme in ihrem Kopf. Die erzählte von Stefana, der Kammerzofe in Florenz, der angeblichen Vertrauten, der sie das Glück ihrer Liebe und jeden Kummer bis hin zur Schwangerschaft anvertraut hatte, und von der sie dann auf Großmutters Geheiß geschnürt worden war bis zur Fehlgeburt.
Und nun Irene. Großmutters verlässlicher kleiner Geheimdienst. Besuche den Granduca , ihr hättet ein hübsches Gesprächsthema . Cecilia spürte, wie ihr Unterleib sich verkrampfte. Aber das war nur Einbildung. Es gab kein Kind mehr, das hätte aus dem Weg geräumt werden müssen.
Sie hörte, wie auf der anderen Seite weinend gekramt und dann ein Schlüssel auf dem Tischchen in der Diele abgelegt wurde. Irene konnte nicht sehr viele Besitztümer ihr Eigen nennen, da sie so schnell fertig war. Sie traute sich nicht mehr zu klopfen. Leise fiel die Tür ins Schloss. Zuerst die obere, dann die Haustür unten im Treppenhaus.
Es war still.
Das blaue Briefchen lag auf dem Fußboden, als Cecilia am nächsten Morgen ihren Salon
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