Glaesener Helga
den tief hängenden Zweigen nichts zu entdecken, was nicht verwunderte, da er es sich ja in dem Gartenhaus gemütlich gemacht hatte.
Er wird schlafen, dachte sie.
Wau …
Und wenn Rossi recht hatte, und es war tatsächlich Inghiramo, der in den Diensten des Granduca spionierte und zu seinem eigenen Vorteil mordete? Unvorstellbar. Aber sagten das nicht alle von ihren Bekannten, die am Galgen endeten? Woran erkennt man einen Mörder? Ihr fiel der Mann ein, der auf sie und Rossi geschossen hatte. Dabei konnte es sich nicht um Inghiramo gehandelt haben, denn die Schauspieler übten für die Aufführung von König Hirsch , und Inghiramo hätte sich nicht für längere Zeit davonstehlen können. Außerdem lebten die Komödianten gemeinsam in ihren Thespiskarren. Sie hätten sich keinen Unterschlupf zu mieten brauchen. Wieder dachte Cecilia an Vincenzos Helfer, der in ihrer Vorstellung bereits so konkrete Formen angenommen hatte, dass er sogar ein Gesicht und eine Stimme besaß.
Schlag fester … Wer hatte das zu wem gesagt?
Sie kehrte in ihr Bett zurück, lag hellwach unter der Decke und starrte in die Dunkelheit. Rossi würde toben, wenn er erfuhr, dass sie Irene entlassen hatte. Warum hatte sie es ihm überhaupt verschwiegen? Zwei, drei Male war sie ihm seit dem Debakel in seinem Palazzo begegnet. Er ist so schwierig, dachte sie. Sie erinnerte sich plötzlich daran, wie Inghiramo ihr während eines abendlichen Diners bei einer Freundin, zu dem einige Künstler geladen worden waren, ein Gedicht zugesteckt hatte. Es hatte holprig geklungen, fast wie ein Studentenpoem. Der gewohnte Sarkasmus fehlte. Sein Poem hatte vom Leid gehandelt, welches die Liebe in sich trägt wie eine Frucht die Kerne. Sie hatte es rasch überflogen und gespürt, dass Inghiramo sie beim Lesen beobachtete. Er war sehr bleich gewesen und hatte den Blick gesenkt, als sie zu ihm hinüberschaute. Vielleicht war es dieser Moment gewesen, in dem sie ihre Bedenken über Bord geworfen und an die Wahrhaftigkeit seiner Gefühle zu glauben begonnen hatte. Weil die Reime so grauenhaft geschmiedet waren. Du hast mich geliebt, dachte Cecilia, und deshalb bist du mir auch nach Montecatini gefolgt. Ihr wurde ein wenig wärmer, und bald darauf schlief sie ein.
Am folgenden Tag erwachte sie mit den pochenden Kopfschmerzen, die sie in letzter Zeit so häufig heimsuchten. Um sich abzulenken, machte sie mit Dina einen Spaziergang, bei dem ihnen ein gähnender Adolfo Gesellschaft leistete. Die Flinte baumelte auf dem Rücken des Alten. Gutmütig erklärte er Dina, wie man mittels einer Leimrute Lerchen fing, aber das Mädchen war wenig begeistert und beschied ihm, dass er ein grausamer Kerl sei und dass sie niemals einem Vogel ein Leid zufügen werde.
»Kinder«, sagte Adolfo und sank auf der Bank bei der Burgruine, die sie für ihre Rast ausgesucht hatten, in ein Nickerchen. Seine Flinte rutschte in die morschen Blätter zu seinen Füßen.
Die Aufführung des König Hirsch war für den späten Nachmittag geplant.
Um drei Uhr begann Cecilia sich umzukleiden. Sie wählte ein strenges, dunkel gehaltenes Kleid, dessen Kragen ihren Hals umschloss, und einen ebenfalls dunklen Mantel, der sie wie eine Zeltplane umhüllte. Nach langem Schwanken griff sie nach einem Collier mit einigen Rubinsplittern, das als Schmuck weder zu verspielt noch altjüngferlich wirkte.
Ihr Entschluss stand fest. Sie würde Inghiramo sagen, dass alles vorbei sei. Diese Worte aus ihrem eigenen Mund hatte er verdient. Ein sauberer Schlussstrich, der ihm und ihr den Kopf und das Herz frei machen würde.
Es war kein Problem, dem übermüdeten Adolfo, der im Gartenpavillon schlief, zu entwischen. Goffredo spannte die Vittoria an. Was sie tat, war völlig ungefährlich, denn sie bewegte sich in einem Pulk von Kutschen mit festlich gekleideten Männern und Frauen, die sich alle auf dem Weg nach Monsummano befanden. In dieser Karawane war sie besser bewacht als in irgendeinem Haus in Montecatini.
Unten bei den Thermen traf Cecilia auf das Ehepaar Secci und stimmte der Signora zu, dass es nach Regen aussähe. Der Himmel war blitzblank geputzt. Man sieht, was man zu sehen wünscht, dachte Cecilia, und ihre Gedanken glitten wieder zu Inghiramo.
Er war ein großes Risiko eingegangen, als er die Affäre mit ihr begonnen hatte. Die Gesellschaft liebte es, sich mit Künstlern zu umgeben, sie genoss ihren Witz und sonnte sich in ihrem Genie. Aber das konnte nicht über die Mauer hinwegtäuschen, die beide
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