Glaesener Helga
Gruppen voneinander trennte. Wäre die Affäre aufgeflogen, Großmutter hätte mit ihren Rufen nach Vergeltung ganz Florenz hinter sich gewusst. Für sie selbst, für Cecilia, war es einfach gewesen, sich in zuckrigen Träumen zu wiegen – das Risiko für Leib und Leben hatte Inghiramo tragen müssen. Es hatte lange gedauert, bis sie ehrlich genug geworden war, sich das einzugestehen. Nun hatte sie den Berg überschritten.
Die Ruine von Monsummano stand erwartungsgemäß auf einem Hügel und war über eine dicht bewaldete, serpentinenreiche Straße zu erreichen, an deren Rändern die eifrige Ingenieursgattin mit Papiermasken geschmückte Stäbe hatte aufstellen lassen – Theaterflair in der Provinz. Signora Bondi konnte mit dem Ansturm auf ihre Vorstellung zufrieden sein. Sicher hundert Menschen drängten sich bereits auf den Klappstühlen in den Ruinenmauern und noch einmal so viele auf dem felsigen Platz dahinter.
Die Sonne schien schräg gegen den roten Samtvorhang, der die Kulissen verbarg, und verlieh ihm einen Glanz, der die Schäbigkeit des alten Stoffs vergessen ließ. Unzufrieden inspizierte Signora Secci, die sich einen eigenen Sessel in die erste Reihe hatte tragen lassen, die Zuschauermassen. In einem Winkel der Ruine, der früher vielleicht einmal das Küchengebäude beherbergt hatte, drängte sich das einfache Volk. Cecilia entdeckte den Uhrmacher Petronio, der sich aus seinen beiden Krücken einen provisorischen Sitz gebaut hatte. Sie sah Fausta in ihrem besten Festtagskleid. Als ihr Blick wieder zu den Stuhlreihen glitt, bemerkte sie Marianna Bossi und deren verliebten Gatten, die sich in aller Öffentlichkeit bei den Händen hielten – zumindest ein Skandälchen, über das Signora Secci sich entrüsten konnte. Cecilia lächelte den beiden zu.
Die Dame mit dem ausufernden Federhut, die im Dragonerschritt das Gelände durchmaß und es wie ein Schlachtfeld inspizierte, musste die Ingenieursgattin sein. Sie wollte eine Frau verscheuchen, deren Kleidung zu einfach war, als dass sie der besseren Gesellschaft hätte angehören können. Doch die Gescholtene blieb auf ihrem Stuhl sitzen und wies ein Billett vor. Francesca, dachte Cecilia und fühlte Genugtuung, als Signora Bondi verärgert weiterging. Gleichzeitig war sie besorgt. Bildete die Seifensiederin sich tatsächlich ein, Lupori hätte sie bereits vergessen?
Inghiramo trat vor den Vorhang.
Er trug wieder das Kostüm des Geschichtenerzählers, aber dieses Mal wirkte er nicht komisch. Seine Mimik war angespannt, er suchte mit den Augen das Publikum ab. Sah er Cecilia? Kaum. Sie wurde von einem Mann mit einem breiten, braunen Samtrücken verdeckt.
Inghiramo bat die Zuschauer, sich noch einen Augenblick zu gedulden, und wurde wieder unsichtbar.
Als Cecilia sich erneut umschaute, entdeckte sie, dass sich auf dem freien Stuhl neben Francesca ein Mann niedergelassen hatte. Sie musste zweimal hinsehen, um es zu glauben: Rossi. Tatsächlich, Enzo Rossi.
Dummkopf, dachte sie in aufwallendem Ärger. Er saß vornübergebeugt, sicher, weil die Striemen keinen Druck vertrugen. Glaubte er allen Ernstes, das nähme niemand zur Kenntnis? Cecilia zweifelte nicht daran, dass die Nachricht von der schändlichen Bestrafung Montecatini erreicht hatte. Solche Dinge blieben nie geheim. Und dieser Klatsch, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Schadenfreude, würde durch sein Kokettieren mit einer gesuchten Verbrecherin weitere Nahrung erhalten. Er besitzt den Instinkt einer Stopfnadel, dachte sie verdrossen.
Applaus brandete auf. Der Vorhang hob sich, und Inghiramo wurde nun doch zum Geschichtenerzähler. Wieder die Mär, wie sein Herr, der Zauberer, in einen Papageien verwandelt worden war, und nun, nach vierzig Jahren, im Wald – dieses Mal von Monsummano – freigelassen werden würde.
Die Leute lachten herzlich, als die Statue die heuchlerischen Bewerberinnen für den Königinnenthron entlarvte. Smeraldina spielte in bester Laune die plapperhafte Hure, die ihrem tristen Schicksal entrinnen will.
Die Fackeln, die man bereits zu Beginn der Vorstellung entzündet hatte, brannten heller, je dunkler es wurde. König Deramo verwandelte sich in den Hirschen – Applaus, Applaus – und dann in den Bettler. Die schöne Angela hielt ihm die Treue und fiel effektvoll in Ohnmacht, als sie durch Tartaglia bedrängt wurde.
Cecilia merkte, wie ihr kalt wurde. Der Zauber der ersten Aufführung wollte sich nicht einstellen, ihr Interesse erlosch. Ich hätte nicht kommen
Weitere Kostenlose Bücher