Glaesener Helga
ich im Gallo auf sie warte.«
»Augusto …«
»Schon gut. Ich hatte es mir ja fast gedacht.« Cecilia blickte ihm nach, während er mit dem ungelenken Gang der Übergewichtigen über das nasse Pflaster schritt. Unten am Markt musste er ausweichen, weil Luporis Kalesche ihn an die Seite drängte. Dann war er verschwunden.
Großmutter Bianca verabschiedete sich herzlich vom Dina. Das Mädchen drängte sich an sie, und Großmutter beugte sich mühevoll zu ihr hinab, um ihr Haar zu küssen. »Ein bezauberndes Kind, Giudice. Ein anmutiger, lebhafter Geist«, lobte sie Rossi, der in den Flur hinabgekommen war, um der Tante seiner verstorbenen Frau Lebewohl zu wünschen. Er schaute verblüfft auf seine Tochter.
»Komm, Dina, sing für deine Großmutter noch einmal das Lied von der Lerche …«
Das Mädchen tat wie geheißen, es besaß eine schöne Stimme. Sie hörten ihr zu, ein wenig verlegen, ein Kreis von Riesen um ein Zwerglein, bis Großmutter den Stock gegen die Wand lehnte und in die runzeligen Hände klatschte. »Würdest du mich einmal in Florenz besuchen, Liebes? – Es wäre eine Freude für mich«, ergänzte Großmutter, zu Rossi gewandt. »Das Alter ist eine einsame Zeit. Sie hätten doch sicher nichts dagegen einzuwenden?«
»Kann ihr nur guttun.«
»Aber …«, versuchte Cecilia zu protestieren.
»Großmutter will mich in die Boboli-Gärten mitnehmen. Da ist ein Wald mit Riesen. Nicht richtige Riesen, sie sind aus Stein … und ein Sprungbrunnen, auf dem der König der Meere mit einem Drei … einem Drei … mit einem Spieß steht …«
Großmutter lächelte Cecilia über Dinas Kopf hinweg an und nickte, während Rossi seiner Tochter versicherte, dass er nicht das Geringste dagegen habe, sie für eine Weile loszuwerden.
Cecilia hätte ihn am liebsten am Kragen gepackt und geschüttelt. Siehst du denn nicht, was das werden soll? Bianca Rastelli hat sich soeben damit abgefunden, dass ihr Goldkind Cecilia nicht zu verkuppeln ist, und nun sucht sie Ersatz für das undankbare Geschöpf. Schick sie hin, und sie bleibt dort! Willst du, dass dein Kind bei einer alten Frau aufwächst, die es fertigbringt, ein Ungeborenes im Mutterleib zu töten?
»Wie schade, dass Signore Inconti schon gegangen ist. Sei so gut, Cecilia, und sage in dem Kaffeehaus gegenüber Bescheid, dass Ariberto mit der Sänfte kommen soll.«
Cecilia überquerte den regennassen Platz, fand Großmutters alten Leibdiener an einem der Tische sitzen und gab die Anweisung weiter. Als sie zurückkehrte, hatte Rossi seiner Besucherin bereits in den altmodischen, mit Silberpelz besetzten Mantel geholfen.
Großmutter versprach Dina gerade ein Puppenservice aus echtem Porzellan. »… mit winzigen Löffelchen und Servietten, die du selbst besticken kannst, mein Engel. Würde dir das gefallen?« Sie nahm ihren Stock wieder an sich, eine weißhaarige, milde Greisin, deren einzige Freude darin lag, Glück in blanke Kinderaugen zu zaubern.
»Komm, hilf mir in die Sänfte, Cecilia … Nein, nein, Dina, du bleibst hier im Haus. Willst du dich erkälten? Vielen Dank, Giudice, es geht schon …« Sie nahm Cecilias Arm und ließ sich von ihr über den Platz führen, zu Goffredos Lieferanteneingang, wo die beiden Knechte aus dem Gallo gerade das wacklige Mietgefährt ihrer Herberge hinaustrugen. Ariberto stand alt und verfroren daneben und blickte ihnen unglücklich entgegen.
»Das Kind kommt zu mir«, erklärte Großmutter ruhig, als sie außer Hörweite des Palazzo waren.
»Auf keinen Fall. Sie ist hier glücklich. Sie wird gut versorgt, und bald kommt sie sowieso in eine Klosterschule.«
»Klosterschule?«
Nicht meine Idee. »Jawohl.«
»Wo sie zwischen schnatternden Gänsen aufwächst und von verstaubten Nonnen den Kopf mit frömmlerischer Nutzlosigkeit vollgestopft bekommt? Sie zieht nach Florenz. Ich weiß, was ich meiner Nichte schulde, gleich, welchen Mann sie in ihrer Torheit …«
»Das werde ich nicht zulassen.« Cecilia war nicht mehr nur vom Wetter kalt. Wann hatte sie Großmutter jemals offen widersprochen? Sie beging ein Sakrileg – und stellte fest, dass es ihr nicht das Geringste ausmachte. An dem Tag, an dem sie begriffen hatte, wie ihr Ungeborenes ums Leben gekommen war, musste etwas zersprungen sein. Einen Moment lang glaubte sie Großmutter zu sehen, wie sie ihr im Schein einer flackernden Weihnachtskerze die Puppenwiege aus blauem Holz mit der aufgemalten Mohnblume überreichte, aber das Bild verlor an Schärfe und nahm das Muster der Tonfliesen
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