Glaesener Helga
an, mit denen der Abtritt ausgelegt war – der Ort, an dem sie unter Schmerzen und in einem Strom von Blut ihr Kind verloren hatte.
Großmutter löste sich von ihrem Arm. »Ich werde Dina zu mir holen. Es ist meine Pflicht. Glaubst du im Ernst, du kannst mich daran hindern, meine Pflicht zu tun?« Sie ließ sich von Aribaldo in die Sänfte helfen. Das dauerte ein Weilchen. Erst als sie ihr Haar und die Röcke gerichtet hatte, sprach sie wieder.
»Du hast ihn also erneut davongejagt.« Brüsk hob sie die Hand, als Cecilia zu einer Erwiderung ansetzte. »Denke nicht, ich wäre blind und taub. Ich weiß, was los ist. Ich weiß es genau.« Ihr Kinn wies zum Palazzo.
Als Cecilia begriff, was Großmutter meinte, waren die Sänftenträger bereits losgetrabt. Hinter der Sänfte herzulaufen und » Du weißt gar nichts !« zu brüllen, war ausgeschlossen, selbst auf dem verregneten Marktplatz einer vergessenen Kleinstadt. Die Fingernägel im Handballen, starrte Cecilia dem Rücken des Sänftenträgers nach.
Als sie zum Haus zurückkehrte, war Dina verschwunden. Nur Rossi wartete noch in der Tür. »Warum bist du …?«
»Dina geht nicht nach Florenz!«, unterbrach Cecilia ihn wutbebend.
»Aber …«
»Sie will dir das Kind wegnehmen, Rossi. Sie hat mich verloren, und nun will sie Dina. Begreifst du das nicht?« Es regte sie auf, wie er sie anstarrte.
»Lupori weiß nichts von Salvatores jüdischer Abstammung«, sagte er.
»Das freut mich«, erwiderte sie ärgerlich.
4. Kapitel
G roßmutter fand, dass es Dina an Erziehung mangelte? Nun, das konnte man ändern.
Cecilia suchte gemeinsam mit dem Mädchen Monsieur Valette auf, den französischen Tanzlehrer, der den jungen Damen und Herren der Stadt Unterricht erteilte. Er hatte einen Tanzboden auf dem Speicher eines ehemaligen Tuchhändlerhauses gemietet und gab dort – im Wechsel mit einem Fechtmeister – seine Stunden. Cecilia betrat den von Kerzen dürftig erhellten Raum, in dem ein Dutzend Jungen und Mädchen zur Violine des Monsieur im Kreis einherschritten und einander verlegen auf den Füßen herumtraten.
»Pas menu …«, murmelte Monsieur Valette, während er die Saiten kratzte, aber kleine Schritte gehörten eindeutig nicht zur bevorzugten Fortbewegungsweise der Jungen und Mädchen. »Légère, mesdemoiselles, légère …«
»Das ist schön«, flüsterte Dina und begann zu trippeln, während sie dem Violinenspiel lauschte und die Schrittfolgen beobachtete. Ihre Augen glänzten, sie verfügte unbestreitbar über ein rhythmisches Gefühl.
Cecilia war mit sich zufrieden.
Am Ende der Stunde konnte ein erfreuter Monsieur
Valette eine neue, begeisterte Schülerin begrüßen. »Unterrichten Sie auch den Walzer?«
Er verneigte sich. »In allen Ehren, Signorina. Und
mit dem gebotenen Anstand. Wenn es gewünscht wird.«
»Es wird gewünscht.« Man vereinbarte das Honorar, Dina beschied einem Jungen, der ihr im Vorübergehen etwas zuraunte, dass er ein Hampelmann sei – dann waren sie wieder im Freien.
»Wirklich schade, dass ich selbst kaum Tanzunterricht nehmen durfte«, meinte Cecilia.
»Warum denn nicht?«
»Großmutter Bianca hält leider nichts vom Tanzen.«
»Sie hat es verboten?«
»Das nicht. Aber der Tanzmeister kam zu uns ins Haus, und ich musste meine Schritte immer allein ausführen, mit einem Besenstiel, vor dem ich mich verbeugte und mit dem ich mich drehte.«
»Wie langweilig.«
»So ist Großmutter Bianca. Man kann es nicht ändern.«
»Was ist ein Walzer, Cousine Cecilia?«
»Ein Walzer ist, wenn man in ein Englein verzaubert wird, das in einem himmlischen Ballett kreiselt.«
»Ich will auch ein Englein werden.«
Cecilia lächelte.
Als sie nach Hause kamen – es dämmerte schon wieder, und das Pflaster glänzte von dem Regenschauer, der während der Tanzstunde auf Montecatini niedergegangen war –, fanden sie ein Reitpferd vor dem Palazzo della Giustizia. Dina war vor Neugierde sofort außer Rand und Band, aber Cecilia schickte sie in ihr Zimmer hinab.
»Haben Sie’s gehört?«, flüsterte Anita, die gerade wieder auf dem Weg in die Küche war.
»Was denn?«
»Francesca Brizzi. Sie ist jetzt offenbar völlig durchgedreht. Sie hat versucht, Sergio Feretti zu erstechen.«
Rossi hatte in seinem Speisezimmer die montecatinische Justiz um sich versammelt, was hieß: den Sbirro Bruno und die beiden Beisitzer Renato Secci und Zaccaria Lanzoni. Kurz nach Cecilia betrat auch noch Arthur Billings das Haus, der englische Dottore, der das Irrenasyl vor der
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