Glaesener Helga
doch alle Bescheid.
Großmutter drohte scherzhaft mit dem Finger, ehe sie den Raum verließ. In der eintretenden Stille hörte man Tacito Lupori brüllen. Zumindest oben im Arbeitszimmer schienen klare Worte gesprochen zu werden.
»Nun …«
»Mein lieber Augusto …«, begann Cecilia gleichzeitig. Sie verstummte. Inconti war nicht mehr jung, knapp über vierzig. Auf seinem Kugelbauch spreizte sich die Knopfleiste mit den Goldknöpfen. Er trug immer zu enge Kleidung, sie hatte keine Ahnung, warum. Sein Haar schien innerhalb des letzten Jahres lichter geworden zu sein, sie konnte die rosige Haut durch die schwarzen Strähnen schimmern sehen. Gleich würde er lachen. Er besaß ein fröhliches Gemüt, wie er selbst bei jeder Gelegenheit betonte. Dieses Gemüt schien er als wichtigstes Requisit seiner selbst zu betrachten, fast wie einen Ehepartner, denn er stellte sich und sein Gemüt stets gemeinsam vor …. hab ein fröhliches Gemüt , mein Lieber …
»Signora Rastelli hat es mir erklärt.«
»Bitte?«, fragte Cecilia verwirrt.
»Was los war, damals. Kein Grund, verlegen zu werden, Mädchen. Ich weiß, dass ich ein alter Knochen bin in den Augen des jungen Volks. Aber ich kann mich durchaus noch besinnen, wie es ist, wenn das Blut kocht und Amor an die Türe pocht.«
Cecilia suchte nach einer Antwort – ihr fiel keine ein.
»Sehe den Kerl noch vor mir. Düstere Gestalt, nicht wahr? Schwarzes Haar und traurige Hundeaugen. Hatte einen schlechten Schneider, wenn ich das sagen darf, aber … romantisch, ja. Da beginnt ein Mädchenherz zu schlagen. Der Bursche hat inzwischen in Neapel große Erfolge gefeiert, heißt es.«
Du hast ihm von Inghiramo erzählt, Großmutter? Cecilia war ebenso schockiert wie aufgebracht. Sie hatte es für selbstverständlich gehalten, dass dieses Geheimnis gewahrt bleiben würde. Welche Familie gab freiwillig preis, dass eine der ihren sich mit einem Theaterdichter eingelassen hatte? Was hatte Großmutter sich nur gedacht? Nahm sie an, dass Augusto das pikante Wissen für sich behalten würde? Dass er wie ein Gentleman schweigen würde, selbst wenn …
Oh! Cecilia begriff und wurde noch wütender. Was Großmutter im Sinn hatte, war eine Erpressung, und zwar eine, die nicht Augusto, sondern ihr selbst galt. Sieh her, Mädchen, ich habe den Mann informiert. Du musst ihn also heiraten – oder riskieren, dass er deine Schande in die Welt hinausposaunt. Wie hört sich das an: Cecilia Barghini, das naive Goldköpfchen, hat es mit einem Theaterdichter getrieben, der sie, als es ernst wurde, ausspuckte wie eine scharfe Pepperoni.
Augusto hakte den Daumen in eine Brusttasche. »Tja, die Liebe findet schneller ein warmes Plätzchen, wenn sie in Reimen daherkommt …«
Oben knallte die Tür von Rossis Arbeitszimmer.
»… aber am Ende füllt ein solider toskanischer Schinken doch eher den Magen als ein neapolitanisches Eclair, stimmt’s, Mädchen?« Das war der unvermeidliche Scherz. Augusto ließ sein tiefes, dröhnendes Lachen ertönen, und Cecilia zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln. Sie hörte den Giusdicente die Treppe hinabhumpeln. Poch … poch …
»Ich will dich immer noch, Cecilia, das ist die Botschaft, und ich bringe sie ohne Reim …«
»Augusto …«
»… und ohne jeden anderen Firlefanz. Auf einfache, ehrliche Art.«
»Sie sind zu gütig, Augusto, aber … Sie müssen verstehen …« Cecilia sah, wie seine Augen sich verdunkelten. Wieder rollte der Adamsapfel. Er zwinkerte, als wappnete er sich für einen Schlag. War es möglich, dass er tatsächlich etwas für sie empfand? Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte angenommen, dass er sie heiraten wollte, weil sie eine gute Partie war und obendrein hübsch. Sie schluckte. »Ich könnte Sie nicht glücklich machen, Augusto. Nicht so, wie Sie es verdienen. Sie sind der gütigste Mensch auf Erden …«
»Verstehe, verstehe schon …«
»… und großzügig und … verlässlich … O bitte – geben Sie mir die Hoffnung, dass Sie mich nicht verdammen, aber ich habe mein Herz gründlich erforscht …«
Sein Nicken schnitt ihr das Wort ab. Er griff nach seinem Spazierstock, den er nicht brauchte, weil er ein kerngesunder Mann war, den er aber so gern schwang. Sie las abgrundtiefe Enttäuschung in seinen Zügen. Wie hatte Großmutter ihn nur zu dieser Fahrt ermutigen können! Cecilia trat zur Seite, um ihn hinauszulassen. Er traf im Flur auf Lupori, und beide nickten einander steif und mürrisch zu.
»Erklären Sie Signora Rastelli, dass
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