Glaesener Helga
aber das Pack ist entkommen.«
»Und Leo?«
Sie hatten den Flur erreicht. Der Fischer erhob sich und stellte sich in den Türrahmen. Wenn möglich, war er sogar noch blasser als Rossi, dem er mit der Lampe ins Gesicht leuchtete.
Rossi wehrte sich dagegen, dass man ihn zur Treppe schleppte, und dieses Mal war er erfolgreich. Er schaffte es bis zu seinem Lehnstuhl und ließ sich mit einem Seufzer hineinfallen.
»Leo ist tot«, sagte Adolfo.
»Nein.« Rossi winkte ihm, sich ebenfalls zu setzen, aber der alte Mann blieb stehen. »Wir haben ihn gefunden. Er hat einige üble Wunden davongetragen. Es geht ihm gar nicht gut, das ist die Wahrheit. Aber er wird nicht sterben. Dottore Semenzi aus Monsummano hat ihn gründlich untersucht. Nichts, woran man stirbt, hat er gesagt.«
Nun brauchte Adolfo doch einen Stuhl.
»Der Dottore hat die Wunden verbunden, und dann haben wir ihn … Wir haben ihn in unser Gefängnis geschafft.« Rossi hob die Hand, als Adolfo auffuhr. »Zu seiner Sicherheit. In unser gemütliches kleines Gefängnis unter dem Uhrenladen. Mit Bruno zu seinem Schutz und Trost. Leo weiß, wer ihn gequält hat. Aber er war zu durcheinander, um viel zu sagen. Und deshalb ist er in Gefahr – das musst du verstehen.«
»Ich … verstehe es.«
Rossis Hand fuhr bereits zum dritten Mal zu seinem Nacken, um den eine geschickte Hand einen weißen Verband gelegt hatte. Seine Hose war zerrissen, und Cecilia sah auch durch diese Fetzen einen Verband. Er hatte sich an einigen Stellen rot verfärbt.
»Wir sind Enzos Karte gefolgt«, erklärte Cardini und musste husten, weil er höflich sein Gähnen unterdrücken wollte. »Von einem bestimmten Punkt an haben Ferettis Hunde uns vorwärts gezerrt. Irgendwann standen wir vor einem Höhleneingang. Enzo wollte die Hunde zurücklassen, weil er ihr Gebell fürchtete.« Es war Cardini anzusehen, wie wenig er von dieser Idee gehalten hatte und dass sie ihm inzwischen wie der Gipfel der Idiotie vorkam. »Wir sind also allein in das Gewirr von Gängen und Kammern. Es war eklig. Steinvorsprünge, glitschige Senken, Schwefelquellen, es stank wie im Vorhof der Hölle. Außerdem war es stockduster. Und wir hatten nichts als zwei Fackeln.«
»Wie unangenehm«, sagte Cecilia mechanisch.
»Wir haben uns aus den Augen verloren. Erst war dieser Bruno verschwunden, dann Enzo.« Auch hier ein unausgesprochener Vorwurf. Cardini schien es nicht zu mögen, wenn man sich der Gefahr in die Arme warf. Ein Mann mit Sinn für das Vernünftige.
»Plötzlich hörte ich Gebell. Ich weiß nicht, was genau geschehen …«
»Hab ich dir doch alles gesagt.« Rossi beäugte sein Bein.
»Hinterher, ja.«
»Ich kann dir doch nicht vorher sagen …«
»Er ist geradewegs hinein in sein Unglück. Der Junge hat gebrüllt, die Hunde gebellt, jemand geflucht – ein höllisches Durcheinander, und alles im Finstern, denn Enzos Fackel war erloschen und meine brannte nur noch schwach. Die Köter sind über ihn hergefallen. Bruno kam mit mir zugleich und hat auf sie eingestochen …«
Cecilia gönnte dem Sbirro einen warmen Gedanken.
»… aber der Mörder und die Hunde sind entkommen.«
»Ich hab in dem kurzen Moment nichts erkennen können, Adolfo. Ich habe Leo gesehen, und dann waren die Biester auch schon da.« Rossi klang zutiefst frustriert. Die Schmerzen schienen ihn zu reizen wie eine persönliche Beleidigung. Ungeduldig schlug er mit der Faust auf seinen Oberschenkel. Cecilia rappelte sich auf und öffnete den Aufsatzschrank, um nach seinem geliebten Fiasco zu suchen.
»Aber das schadet doch nicht, wenn Leo uns alles sagen kann«, flüsterte der alte Mann.
Rossi wartete dankbar, dass Cecilia ihm etwas eingoss. Er stürzte den Wein hinunter, und als Cecilia dem Fischer und Leandro Cardini eingeschenkt hatte, hielt er ihr sein Glas von Neuem hin.
»Dann schadet es doch nichts«, beharrte Adolfo.
»Nun, die Schwierigkeit ist, dass der Junge nicht reden will«, sagte Rossi.
Leo redete auch am folgenden Tag nicht. Arthur Billings untersuchte ihn auf Rossis Wunsch noch einmal gründlich und redete ihm gut zu, doch der Junge starrte ins Leere, zerkrümelte das Wachs, das er von einer Kerze gepellt hatte, und presste die Lippen zusammen.
»Kein Wunder, nach dem, was er durchgemacht hat«, sagte Arthur, als er später Rossi vor dessen Bett Bericht erstattete.
»Und wird sich das ändern?«
»Du meinst, ob er wieder zu sprechen beginnt?« Arthur zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich. Falls es wirklich die seelische Pein
Weitere Kostenlose Bücher