Glaesener Helga
erinnern«, sagte sie bedrückt. »Je mehr ich es will, umso weniger gelingt es.« Sie schüttelte den Kopf, als er sie prüfend ansah.
»Nun gut. Schau auf die Karte.« Er deutete auf einen einsam liegenden Punkt, auf den er ein Haus gezeichnet hatte. »Hier wohnt Signora Feretti. Es geht ihr übrigens nicht gut – na ja, welch Wunder … Jedenfalls ist sie auf der Suche nach ihrem Gatten offenbar einem mythischen Muster gefolgt. Kannst du das erkennen? Sie hat aus dem Anfangsbuchstaben seines Namens – ein S, Sergio, hier – den Weg festgelegt, nach dem sie das Land abgesucht …«
»Aus dem Anfangsbuchstaben seines Namens?«
»Nicht meine, sondern ihre Idee. Der Ausgangspunkt war dabei Marios altes Haus, weil sie der Überzeugung war, dass Marios Tod und Ferettis Verschwinden zusammenhängen. Sie …«
»Ein Rachemord?«
»Ich weiß, das ergibt nicht viel Sinn. Besonders, wenn man an Ferettis Wunden denkt.« Er war irritiert, weil sie ihn immer wieder unterbrach. »Sieh es dir an: Hier war sie zuletzt, an diesen Punkten.« Er nahm seinen Stift und fabrizierte neue Kreuze. »Also noch einmal die Frage: Warum haben die Mörder Ferettis Leiche gerade heute Nacht in den Glockenturm geschafft?«
Cecilia schaute ihn an wie einen Zauberer, der mit einem Kaninchen verblüffen will.
»Weil Signora Feretti ihnen zu nahe kam. Das könnte doch sein. Weil sie Angst hatten, die Signora und ihre Hunde – vor allem die Hunde – würden die Leiche aufspüren.«
»Aufgrund eines mythischen Musters?«
»Aufgrund eines idiotischen Zufalls, das habe ich doch schon gesagt.« Er wollte nicht bestaunt, sondern verstanden werden. »Ich muss wieder los.«
»Wohin?«
Einen Moment lang fiel die Hektik von ihm ab. Er atmete tief durch. »Wegen Leo, Cecilia. Ich stelle es mir so vor: Feretti ist tot. Seine Mörder haben die Leiche, und sie haben Leo am Hals. Nun kommt ihnen die unermüdliche Signora Feretti, getrieben von Wahngedanken, mit ihren Hunden zu nahe. Also entledigen sie sich der Leiche, weil sie hoffen, damit von Leo in seinem Versteck ablenken zu können. Es ist leichter, einen Toten fortzuschaffen, als für einen Lebenden eine neue Unterkunft zu suchen. Ich weiß, das ist nur eine kleine Hoffnung, nicht mehr als ein Glimmen in der Dunkelheit. Aber wenn ich recht habe, wenn man Feretti präsentierte, weil man verhindern wollte, dass sie ihrem Versteck zu nahe kommt und Leo findet … Ich muss ihn suchen, Cecilia. Und zwar rasch. Signora Feretti hat mir ihre Hunde überlassen, Bruno ist mit ihnen bereits zu Cardini. Wir brauchen nur noch diesen Plan …«
Sie sah ihm nach, als er die Treppe hinabeilte, seine Karte wie eine wehende Fahne unter dem Arm.
Finde Leo, dachte sie. Und lass die Scheusale zur Hölle fahren.
Die folgenden Stunden verrannen zäh wie Sirup. Dinas Kleider waren gepackt, das Mädchen knabberte an getrocknetem Obst, das Anita ihm gegeben hatte, und ging dann zu Bett. Cecilia saß im Speisezimmer und blickte zum Fenster hinaus in die Nacht. Rossi hatte vergessen, Holz nachzulegen, und sie selbst hatte es auch nicht getan. Folglich war es kalt im Raum.
Schlag fester …
Nichts. Kein Nachhall mehr, keine Assoziation. Sie dachte an den Mann auf dem Fuchs, der ihr gefolgt war oder vielleicht auch nicht. So kann man nicht leben, dachte sie, immer in Angst. Sie fürchtete sich zu Recht. Feretti war grausam ermordet worden. Hätte sie ihn retten können, wenn sie beherzter, flinker, geistesgegenwärtiger …?
Schlag fester …
Nein, sie hatte Glück, dass sie selbst entkommen war. Das spürte sie. Sie nahm sich eine Decke, unter der sie sich zusammenkauerte. Das Speisezimmer war hübsch geworden, nun, da man es frisch tapeziert hatte. Nur Rossis Lehnstuhl müsste man noch beziehen. Aber auf dem hatte sie es sich gemütlich gemacht, und deshalb waren die hässlichen Streifen unsichtbar.
Draußen an der Tür klopfte es, und Anita führte Adolfo herein. Der alte Mann zog den Hut. »Die Leute sagen, Feretti wurde gefunden?«
Cecilia nickte und wies auf den Stuhl, der ihrem Sessel am nächsten stand. Der alte Mann ließ sich ächzend darauf nieder. Er sah erschöpft aus.
»Und sie sagen, der Giudice sucht jetzt nach Leo?«
»Ich glaube ja.«
»Und ich dachte, Feretti wäre derjenige, der Leo umgebracht hat.«
»Warum?«
»Nun, erst hat er Mario getötet wegen Marzia und dann Leo, weil der ihm zu dicht auf die Pelle rückte. Leo war wütend auf Feretti. Er hat gedacht – wir haben alle gedacht –, dass Feretti Mario
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