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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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am folgenden Morgen wieder. Ich selbst schlief sogar ohne Abendbrot wie ein Stein.
    Den letzten Rest der Reise am frühen Morgen las ich Giniver vor, um meine Aufregung zu zügeln. Heftiges Ruckeln an der Kabine schreckte mich denkbar unsanft auf und ich stieg in das sanfte violette Licht der Abendsonne aus. Hastig korrigierte ich meine und Ginivers Frisur und Kleidung. Nicht mehr lange. Sie nahm meine nervösen Finger in ihre Hände, um das Zittern zu stoppen und lächelte mich liebevoll an. Wenige Fuß entfernt beobachtete uns Kieran mit kühlem Blick.

    Gebannt starrten wir durch die verschlungenen Gitter des viel zu riesigen, verwitterten Tores des kleinen Gutes Waldeck. Dichte Hecken umstellten einen weitreichenden Garten, der sich dahinter befand. Ein schwarz gekleideter Servant mit weißem altmodischem Spitzenkragen kam schnell auf uns zu und öffnete die Flügel, damit wir eintreten konnten. Staunend betrachtete ich die obskuren Figuren aus immergrünen Büschen und Bäumen: eine griechische Hindin, ein kriegerischer Zentaur mit animalisch anmutendem Gesicht, eine verführerische Medusa, umschlungen von ihrem grotesk langen Schlangenleib, sowie eine geflügelte Dämonin stachen mir förmlich ins Auge. Giniver strich sanft über die Rundung des gorgonischen Schlangenleibes. Er knirschte leise und etwas Frost rieselte zu Boden.
    Vor uns ragte ein verwinkeltes Herrenhaus mit unzähligen Fenstern auf, zu dem eine flache, breite Steintreppe mit mehreren Zwischenebenen führte. Das steinerne Treppengeländer war mit unzähligen Insignien verziert. Plötzlich kündigten laut klackernde Absätze jemandes Näherkommen an. Sofort erkannte ich, wer in feuriges Rot gewandet und mit wehendem Rock zu uns herabeilte. Sie trug ein schulterfreies Kleid, das sie vorne leicht anheben musste, um nicht darauf zu treten, und einen pervers weichen Fellmantel, der sie beinahe verschlang. Ein irischer Wolfshund folgte ihr hechelnd. Eirwyn von Waldeck wirbelte förmlich um uns herum und begrüßte Giniver und mich herzlich mit Küsschen auf die Wange.
    Mich umarmte sie fest, nahm mein Gesicht in die Hände und betrachtete es eingehend. Mir entging dennoch nicht, dass sie den Jäger dabei überging. Dann sprach sie mit fester und irgendwie erwachsen gewordener Stimme: »Frederick, mein Herz. Ich freue mich so sehr, dich wiederzusehen!« Sie strich mir ein abstehendes Haar glatt und neckte mich: »Ihr hattet eine angenehme Reise, wie ich an dir sehe.«
    Ich fühlte mich natürlich geschmeichelt, dass sie mein Aussehen lobte, daher ignorierte ich Kierans belustigten Augenaufschlag.
    »Meine Süße. Herzlich Willkommen!«, herzte sie Giniver. Selbst den Kutschern reichte sie freundlich die Hand und knickste neckisch. Schließlich wandte sie sich doch Kieran zu. Dieser küsste ihr leidenschaftlich die zarte Hand und sie errötete, so dass wir alle eiligst den Blick senkten.
    »Du bist gekommen. Du hast mir gefehlt … sehr sogar«, sagte sie.
    Ich wartete gespannt ob sie sich noch mehr zu sagen hatten, doch er senkte lediglich den Blick und sah sie unter seinen Wimpern hervor sehnsuchtsvoll an.
    »Natürlich bin ich gekommen …«
    Gerade als er sich in romantisches Geplänkel erging, erlaubte ich mir, einen intensiveren Blick auf Eirwyn zu werfen. Sie trug ein bodenlanges rotes Kleid, einen runden kleinen Hut auf dem Kopf in exakter Farbe mit einer Tüllblume an der Krempe, rote Lederhandschuhe und Stiefel mit kleinen Absätzen – sehr in Mode letztes Jahr in Aberdeen. In der einen Hand hielt sie eine kurze Gerte. Da sie mit dieser sicherlich keine Spielchen mit Kieran zu spielen gedachte (zumindest nicht zu dieser Tageszeit) schloss ich, dass sie es noch immer liebte, auszureiten.
    Ich betrachtete verstohlen ihr Gesicht – es hatte sich in den wenigen Tagen verändert. Sie war nicht länger das kleine Mädchen mit dem runden Gesichtchen. Immer noch war ihr Gesicht klein und unglaublich zart, jedoch ihre Züge definierter, die Wangenknochen höher. Das spitze Kinn glich sehr dem ihrer Mutter. Die Lippen, noch immer intensiv rot, formvollendet, jedoch fein, nicht zu voll, um ordinär zu wirken. Das Näschen noch immer klein, zeigte seine Spitze kaum merklich gen Himmel. Das Ozeanblau ihrer Augen hatte sich mit einem hellen Grau vermischt, in dem man jedoch noch immer in gewissem Licht die Farbe des Meeres erspähen konnte – beinahe, als wären sie von großem Kummer vernebelt. Groß und leicht mandelförmig prangten sie unter

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