GLÄSERN (German Edition)
Gleichgewicht bringen zu wollen. Der Jäger hatte keine Ahnung von dem Brief. Das wusste sogar ich und ich dachte, Sandy hätte es ebenfalls begriffen.
»Den, den der Graf für dich persönlich aufsetzte. Leider hat der Bote diesen nie erhalten, um ihn dir zu überbringen. Ich kann diese Aufgabe zu Ende bringen, wenn du möchtest.«
Ich stutzte. Den Brief, der sich in meiner Hemdtasche befand, konnte er wohl kaum meinen. Ich tastete vorsichtshalber danach. Er war noch da. Gespannt verschränkte ich die Arme und wartete, was er gleich hervorzaubern würde. Es war ein mehrfach gefaltetes Blatt sehr dünnen Papieres. Er überreichte es dem Jäger. Der wandte sich vorsichtig um und strich es auf dem Tisch glatt, ohne Sandy aus den Augen zu lassen. Neugierig beugte ich mich nach vorn und mein Blick glitt auf das vergilbte Papier, ähnlich jenem, das Graf Hektor tatsächlich für seine Geschäfte und Verträge benutzte. Dort, mit der eindeutigen Unterschrift des Grafen stand:
Mein Freund,
ich bedaure es sehr, dir mitteilen zu müssen, dass meine Familie und ich Dich nicht mehr auf Amaranth Manor dulden können.
Der Kummer über meiner Tochter Verschwinden macht mich zunehmend argwöhnischer, was Deine einstige Loyalität angeht.
Zu oft hast du dich in ihrer Nähe aufgehalten, obwohl du um die Auflagen einer korrekten Eheschließung weißt.
Nun ist sie auch noch deinetwegen fortgelaufen.
Sie ist noch ein Kind, wie dir bewusst sein muss. Nun muss sie zurückkehren in ihre Heimat. Jedoch wünsche ich, dass du sie nicht begleitest.
Ich werde deine treuen Dienste nie vergessen, doch hab Acht und sei Gewahr, dass du mein Anwesen nicht mehr als Freund der Familie betreten kannst.
Mögest du behütet sein,
Hektor, Graf von Waldeck.
Sandford hatte die Signatur abgeschrieben, wann auch immer das gewesen sein konnte. Fantastisch! Sogar den leicht nach links neigenden Schriftgrad hatte er meisterhaft imitiert. Auch Kieran sah überrascht aus. Er fasste sich jedoch schnell wieder.
»Und was verleitet Sie zu der Annahme, dass dieses Geschreibsel für mich ist? Ich sehe hier keinen Namen stehen.«
Scheinbar hatte der tölpelhafte Lord gleich von allen beiden seiner Gehirnzellen gleichzeitig Gebrauch gemacht.
»Das ist auch nicht notwendig. Lady Amaranth gab ihn mir bei meiner Abreise. Ist es doch absolut klar, dass Sie der Empfänger sein sollten. Etwas beunruhigend finde ich es allerdings schon, dass ausgerechnet der enge Freund im Dienste der Familie Waldeck …«, er schritt um den Jäger herum und sah ihn abwartend an, »… mit dieser wirren Geschichte über Tötungsabsichten und angebliche Hexenkräfte Lady Amaranths durch die deutschen Länder zur Grafentochter wandert. Du nicht? Obwohl der Brief eindeutig den, nun, vielleicht wahren Grund dieser ganzen Verwirrung um die Grafentochter enttarnt.«
Ausnahmsweise brachte Kieran kein Wort hervor. Er las den Brief wieder und wieder.
»Ein eifersüchtiger Waldhüter, bereit, das Herz der Grafentochter zu erobern. Irgendwie amüsant«, brummte Sandford in seinen Bart und kicherte heiser in sich hinein.
In der Tat amüsant, unter anderen Umständen wäre ich sogar vor Schadenfreude vergangen.
Kieran hielt den Brief nahe an sein Gesicht.
»Das ist eine Abschrift«, stellte er dann endlich und glücklicherweise fest. »Die kannst du überall her haben. Womöglich ist nicht einmal das Papier von Hektor selbst.«
Da allerdings wäre ich mir nicht allzu sicher.
Doch Sandford zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Oh, ich denke, ich kann beweisen, dass der Graf sie verfasst hat.«
Er winkte mich zu sich, doch ich entschied mich dazu, entgegen meiner Aufgabe als Valet stocksteif stehen zu bleiben. Lord Sandford kam mit schnellen Schritten auf mich zu, packte mich am Revers und durchsuchte so heftig die Taschen meiner Weste, dass mir die Rippen schmerzten und ich gequält aufschrie. Mit bösem Triumph hielt er das Schriftstück in der Hand, rollte es zusammen, sodass nur noch die Unterschrift des Grafen ersichtlich war, und hielt es Kieran vor die Nase.
»Das ist der Brief, den ich von Graf Hektor erhielt, in welchem er mich konsultierte, um …«
Kieran warf einen kurzen Blick auf die Signatur und, noch ehe Sandford es einstecken konnte, verlor er gänzlich die Fassung. Er stürzte sich auf den Lord, packte ihn am Kragen und schüttelte ihn hart.
»Welche Farce gibst du hier zum Besten! Woher hast du das? Genug jetzt mit deinen Halbwahrheiten! Ich fordere dich zum
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