GLÄSERN (German Edition)
setzte ich mich in meinem Bett auf. Ein höllischer Schmerz stach durch meinen Rücken. Panisch tastete ich mich mit ungeschickten Fingern ab, stellte dann erleichtert fest, dass weder Klammern noch zerfetzte Flügel meine Haut entstellten. Ich rutschte beinahe aus dem Bett und stellte mich zur Sicherheit vor den Spiegel, drehte mich mehrmals, um jeden noch so winzigen Zweifel zu zerstreuen. Dabei fiel mein Blick auf das zerwühlte Bett. Mein müden Augen zuckten unkontrolliert in dem schwachen Tageslicht, versuchten sich auf das leere Bett zu konzentrieren. Etwas fehlte … Giniver lag nicht darin. Zuerst dachte – hoffte – ich, sie im Schlaf aus den Laken geschubst zu haben, doch dann fiel mir ein, dass ich auch an diesem frühen Morgen bereits allein zu Bett gegangen war. Ungekämmt und in zerwühlten Nachtkleidern riss ich die Tür auf und raste durch den Flur. Ich rief ihren Namen, stürzte sogar barfuß in den Garten hinaus. Die in mir aufsteigende plötzliche Unruhe zauberte schlimmste Vorstellungen in meinen Kopf, wohingegen mir mein irrer Traum wie die halblustige Geschichte vom Pfefferkuchenmann erschien. Ihr war sicher etwas zugestoßen.
Irgendwann verließ ich den Garten, brüllte nur mehr wie ein geistig Verwirrter ihren Namen, bis ihn der Wald als spöttisches Echo zu mir zurückwarf. Ich stand stocksteif vor der Garde aus dunklen Bäumen. Meine stille Gefährtin hatte mich verlassen. Fragte sich nur, ob sie es freiwillig getan hatte. Ich glaubte es kaum. Jemand legte eine Hand auf meine Schulter. Der ältere Servant sah mich sorgenvoll an.
»Junger Mann, wollen Sie sich etwas hinlegen? Sie sehen miserabel aus.«
Ich schüttelte ihn unhöflich ab. »Herzlichen Dank. Und das Letzte, das ich tun möchte, ist, mich hinzulegen!«
In einen flatternden Seidenmantel gehüllt eilte Eirwyn die Stufen des Guts hinab. Sie rannte auf mich zu und nahm mich in die Arme, drückte mich fest.
»Frederick! Hast du schlecht geträumt?«
Ich entzog mich ihr schnell wieder. Das, was ich nun am wenigsten gebrauchen konnte, waren tröstende Berührungen.
»Eirwyn, ich habe furchtbare Dinge geträumt. Ich war … aber abgesehen davon – Giniver ist fort! Verschwunden! Weg! Ich finde sie nicht mehr! Du hilfst mir sofort damit, nach ihr zu suchen!«
Ich wollte sie mit mir ziehen, doch Eirwyn hielt mich an meinem Nachthemd fest.
»Vielleicht ist sie zum Picknickplatz gegangen? Mein Servant soll überprüfen, ob sie dort ist.« Sie wandte sich ab, um ihren Diener loszuschicken, doch diesmal hielt ich sie zurück.
»Aber warum soll sie denn dort sein, ich meine, sie hat doch Angst vor der Welt! Sie geht nicht einmal aus dem Haus, ohne vorher mindestens viermal auf die Toilette zu gehen. Und ganz allein ist sie noch nie losgezogen, überleg doch mal!«
Eirwyn sah mich nun etwas gereizt an. Sie ging auf mich zu und stellte sich so dicht vor mich, dass ich etwas zurückwich.
»Beruhige dich, bitte. Wir werden gleich ausreiten und sie suchen, versprochen. Doch zieh dich vorher erst einmal anständig an. Meine Güte.«
Sie sah erregt aus und … nun … abfällig. Doch das bildete ich mir sicher nur ein. Meine Lilie ist überhaupt nicht imstande zu einem solchen Blick. Widerwillig befolgte ich ihren Rat und bestieg danach eines der gesattelten Pferde. Ein Servant begleitete uns und inzwischen suchten die anderen sechs Bediensteten das gesamte Haus nach ihr ab. Kieran blieb trotz der Umstände auf seinem Krankenlager. Er sah zwar besser aus und seine Wunden waren mit Kräuterumschlägen verbunden, was stets eine schnelle Heilung bewirkte, dennoch wollte Eirwyn ihn noch nicht belasten. Lord Sandy, dem ich nun mit Vorsicht begegnete, zog allein und mit halbherzigem Ansporn los, um den Wald zu Fuß zu durchforsten. Trotz aller Bemühungen war und blieb sie jedoch verschwunden. Gegen Abend mussten wir kapitulieren. Schweren Herzens beschlossen wir in der Morgenröte schließlich, bald ohne meine Seelenfreundin nach Schottland zurückzukehren. Ich war ohnmächtig vor Wut auf mich selbst. In mir tobte ein unbändiger Hass, dass ich sie nicht zu Bett gebracht und unser Schlafgemach abgesperrt hatte, wie stets. Hass, dass mir ihre Abwesenheit überhaupt gar nicht erst aufgefallen war. Meine zerschlagene Müdigkeit als Entschuldigung vorzuschieben, lehnte ich unbarmherzig ab. Ich allein trug die Schuld an ihrem Verschwinden, denn ich hatte ihr und mir stets weisgemacht, auf sie achtzugeben. Fieberhaft überlegte ich, was mir
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