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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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ersichtliche Zimmerdecke nichts gemein.
    Dort sitzen zwar ebenfalls Männer, viele davon, die mich kühl mustern. Gelehrte, die mich mit ihrer bloßen Anwesenheit erinnern, dass ich nie etwas geschafft habe, noch schaffen werde. Sie starren und ich empfinde es im besten Falle als unhöflich. Der Lord drückt mich auf einen wackeligen Schemel inmitten des Raumes. Er stellt sich breitbeinig vor mich hin und hebt die Hände.
    »Verehrte Herren, lassen Sie mich meinen Dank aussprechen für Ihre Geduld. Das Objekt wird sich nun eine Phiole mit gemahlenen Zähnen verabreichen.«
    Wie bitte? Einen so merkwürdigen Traum hatte ich nun wirklich noch nie. Ich dachte eher an Fingerhut oder von mir aus auch Quecksilber, das wäre zumindest noch in angemessenem Maße stilvoll. Ein wenig Angst verspüre ich nun doch und grabe mit aller Kraft meine Fingernägel in die abgeschabte lederne Armlehne. Sandford bemerkt es und kreischt plötzlich wie wahnsinnig mit runden, aufgerissenen Augen, mit dieser Verstümmelung aufzuhören. Sein Gesicht gleicht einer Maske seines Selbst. Ich drücke trotzdem fester zu und halte seinem Blick trotzig stand. Er schüttelt mich, dass mein Stuhl klappert und ich Angst habe, dass er sich unter mir in seine Bestandteile zerlegt. Etwas trifft mich an der Schläfe und rinnt mir ins Auge. Speichel. Sie bespucken mich!
    »Das Modell soll sich zusammenreißen!«, kreischen sie.
    »Jawoll! Beschädigt ist er für uns doch von deutlich geringerem Nutzen!«, höre ich von oben.
    Wieder spuckt mich jemand an. Und dann sehe ich ihn. Er sitzt ganz hinten, verdeckt das schmutzstarrende Gesicht hinter der schwieligen Hand, so wie er es immer tut, wenn er sich wieder einmal entsinnt, was für ein Voyeur doch in ihm wohnt. Er spitzt immer wieder durch die leicht gespreizten Finger zu mir herab. Eher auf mich hinab, wie stets, als ob er ein höheres Wesen wäre, dessen schieres Sein ich durch meine bloße Geburt blamiert habe. Ich blicke hasserfüllt zurück. Irgendwo entdecke ich tief in mir einen Hoffnungsschimmer. Wird er mir helfen?
    Mein Erzeuger ist so widernatürlich, wie schon zu seinen erbärmlichen Lebzeiten, denn wann hat er sich jemals um andere geschert. Nicht um seine Frau, die unter seinen harten Schlägen schließlich resignierte. Nicht um seine drei Kinder, die beiden starken und schlagkräftigen Mädchen, tumb aber doch geschickt im Klauen, und den blassen Jungen, dem er die geringste Lebensdauer zuschrieb, der aber als einziger überlebte und ihn damit dem Spott seiner Kumpanen preisgab. Fort die Hoffnung auf die Verheiratung einer der Wuchtbrummen mit einer einigermaßen guten Partie, wenigstens mit einem nicht ganz verarmten Kaufmann. Stattdessen einen talentfreien Spund, ohne Muskeln und mit zu viel Intellekt für einen einfachen Straßenkehrer, wie er es war. Die Welt ist immer schon ein Scheißhaufen gewesen und wir waten mitten durch die Hälfte, wo man ohne ein zweites Kleid und trockenen Wohnsitz auskommen musste.
    Auch erwarte ich, meine geschundene Mutter zu sehen, irgendwo. Doch ihr Geist hat sich scheinbar nicht mehr an mich erinnert oder ist meiner überdrüssig geworden. Zudem hat sie als Frau wohl auch nichts in solchen Räumen zu suchen, nicht einmal im Traum. Brutal zieht der Lord nun unter den anfeuernden Rufen der Voyeure meinen Kiefer auseinander, um mir das bräunliche Pulver in den Rachen zu streuen. Ich wehre mich, doch mein Magen rebelliert aus Angst vor weiteren Schmerzen. Hastig gleitet mein Blick über die kargen Holzbänke, die sich verschwommen um mich herum abzeichnen. Nur mein Vater, der immer mehr zu Nebel wird und sich jetzt erhebt, um nochmals mit seinen krummen Arbeiterfingern anklagend auf mich zu deuten. Noch ehe ich mich entscheiden kann, ob ich den Schmerz auf mich nehmen werde, der im Falle einer Weigerung folgt, glühen die Augen meines Vaters vor Hass, obgleich diese Ehre eigentlich mir gebührt. Dann hebt er den schwieligen Finger abrupt gen Himmel und fließt in sich zusammen, wird zu dem Häufchen Staub, zu dem er hoffentlich schon vor Jahren geworden ist. Ich kneife jetzt panisch in meine Haut und stelle erleichtert fest, dass der Raum und seine wahnwitzigen Besucher beginnen, sich weiter aufzulösen. Wie das Schreckgespenst meines Vaters, wie der selbsternannte Chirurg Sandford. Er zerstäubt wie Kehricht im Wind und …

    … ich erwachte aus der Illusion, gebaut aus der Asche dieser verlogenen Welt.
    Zitternd und mit einem widerlichen Geschmack im Mund

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