GLÄSERN (German Edition)
Zeugs gibt. Das seltsame Licht scheint wohl aus einer indirekten Quelle zu stammen, denn ich sehe nirgends Lampen oder Fackeln. Aber es ist ja auch ein Traum und ich schiebe alle Logik beiseite. Amüsiert betrachte ich alles sorgfältig, nehme eine große, doch sehr unhygienisch wirkende Schere in die eine Hand, eine kleine Sonde mit einer Art Widerhaken am Ende in die andere. Plötzlich taucht wenige Meter entfernt ein schwarzer Holztisch vor mir auf. Dort steht ein gläsernes Behältnis, in welchem große Libellen umherdümpeln, die zerfetzten Flügel abgespreizt oder teilweise ganz vom dünnen Körper gelöst. Neugierig halte ich mein Gesicht nahe an die metallisch schimmernden Wesen. Gleich darauf spüre ich die Anwesenheit einer Person irgendwo im Raum. Langsam wende ich mich um. Am Fuß der Treppe, die auch ich herabgekommen bin, steht ein großer Mann: Lord Sandford, der so gar nicht in mein Unterbewusstsein passen will. Ich lege fragend den Kopf schief, sehe ihn auffordernd an, doch er bleibt stocksteif dort stehen, macht keine Anstalten, mir entgegenzukommen, beziehungsweise sich zu erklären. Gerade als ich ihn mit einem Wink wieder seiner Wege schicken möchte, damit er sich in jemandes anderen Traum einschleicht, beginnt er zu sprechen.
»Du magst doch Schönheit, Frederick?«
Für ihn doch bitte Valet Frederick Van Sade, zumindest in meinem Traum, doch ehe ich ihn in angemessen patzigem Tonfall verbessern will, fährt er fort.
»Soll ich dich schöner machen?«
Begeistert nicke ich. Wie surreal, wie unvorsichtig. Dennoch: Was für eine törichte Frage! Ich will ihn fragen, was er für mich tun könne, doch aus meinem Mund kommt kein Laut, als würden sich keine Stimmbänder in mir befinden. Verdutzt lege ich die Finger um meinen Hals, nehme sie jedoch sogleich wieder fort, denn welchen Zweck hat die Stimme schon in einem Traum. Zudem hat es noch niemandem geholfen, seine verlorene Stimme wiederzuerlangen durch das bloße Auflegen der Hände. Daher nicke ich lieber nochmals eifrig. Alle Ängste und Zweifel sind verschwunden und nun entschädigt mich der Blaubärtige dafür, dass er mich letzte Nacht zur Weißglut gebracht hat. Der Lord tritt zu mir heran, greift an mir vorbei und zieht eine verkrustete Schürze hervor, ähnlich der einer Küchenmagd, nur etwas größer und ohne die feine Spitze. Er lächelt mich an – ich hätte vor jedem Hochgericht geschworen, dass seine Zähne bei Tageslicht weniger spitz gewesen sind. Doch in meinem Traum ist alles möglich, und wirklich geschehen kann mir nichts, da bin ich mir sicher. Es sei denn, ich falle aus dem Bett.
Erwartungsvoll lehne ich mich an die harte Tischkante, die sich wie eine stumpfe Messerklinge in meine Haut drückt. Ich spüre einen dumpfen Druck.
Sandford deutet auf die Libellen. »Wie wäre es mit einem hübschen Paar Flügelchen, hm?«
In wachem Zustand wäre mir ein solcher Vorschlag doch sehr grotesk vorgekommen, doch schließlich mag ich diese schillernden Flügel wie in einer meiner Märchenerzählungen und habe Lust auf ein derart konfuses Experiment ohne Risiko. Der dunkle Bräutigam nickt ernst, dreht mich mit seinen dicken Fingern um, als sei ich ein treibendes Stöckchen im Wasser und reißt mir mit einem Ruck das Hemd vom Leib. Er dirigiert mich zu der Wand mit den Ketten und fixiert meine Arme in zwei der Eisen. Da ich mit dem Gesicht zur Wand stehe, verdrehe ich unter großer Anstrengung den Kopf so weit, bis es in meiner Wirbelsäule knackt. Inzwischen hat er die Schürze umgelegt und aus der Schürzentasche befördert er ein kleines gebogenes Messer hervor. Es ist ebenso fleckig wie die Bestecke, die ich vorhin betrachtet habe. Könnte Rost sein. Ich verziehe angewidert das Gesicht. Ein bisschen Sauberkeit muss doch sein.
»Könnten Sie das Messer ein wenig reinigen, bitte?«, will ich ihm zurufen, doch es kommt nur warme Luft aus meinem Mund. Selbst im Traum ekelt mich vor unreinen Dingen. Langsam scheint sich das alles doch noch zu einem Alb zu entwickeln.
Sandford schärft fachmännisch die Klinge mit einem dicken Riemen, dann trennt er mit Bedacht das größte Paar Flügel von einer der Libellen und legt sie neben sich auf den Tisch. Es folgt das etwas kleinere, untere Paar. Er lässt sie liegen, kommt mit dem Messerchen strikt zu mir herüber.
»Bereit?«, fragte er.
Ich nicke knapp.
Er beginnt zielstrebig und ohne weitere Vorankündigungen. Behutsam zieht er die kleine Klinge durch meine weiche Haut direkt
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