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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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unter den Schulterblättern. Dann schneidet er noch einmal in dieselbe Kerbe, diesmal durch die feine obere Schicht der Muskeln. Ich hauche einen lautlosen Schmerzensschrei an die nackte Wand. Beinahe verliere ich die Besinnung von diesem quälenden Phantomschmerz. Die Klinge lässt kurz von mir ab und ich höre seine Schritte sich entfernen. Etwas raschelt, er kommt zurück.
    Mit ruhigen Fingern steckt er etwas in mein offenes Fleisch – die großen Libellenflügel. Aus der Schürzentasche zieht er noch etwas anderes, das er mir kurz vor ein Auge hält. Es handelt sich um eine kleine Klammer, rostig und leicht verbogen. Es zieht schmerzhaft und Übelkeit steigt in mir auf, als er die Flügel wie pochende Fremdkörper fixiert, indem er zuerst das Fleisch und danach die Haut mit den Fingern – die ich ebenso verdreckt im Gedächtnis habe, wie diesen ganzen düsteren Raum – zusammendrückt und die Klammern in mein Gewebe treibt. Neuer Schmerz übermannt mich. So sehr, dass ich mein nun schweißnasses Gesicht an die besudelte Wand presse. Dann ist es vorbei. Der Schmerz ebbt ab und die Welt hört auf, sich in vielfacher Geschwindigkeit zu drehen. Die Handeisen öffneten sich klackend wie von Geisterhand, ich sinke zu Boden. So schnell ich kann, richte ich mich auf, sehe den Kopfgeldjäger einen riesigen Spiegel herantragen, als wöge er nichts – jenen aus dem deutschen Gruselwald, den Giniver im Geäst entdeckte. Geschwächt und schweißnass verdrehe ich meinen Nacken, dass ich sein Werk betrachten kann.
    Es ist überwältigend: unwesentlich zerschlissene Insektenflügel hängen mit metallenen Klammern zwischen meinen Schulterblättern herab. Nur einige wenige Schlieren von hellem Blut rinnen über meine Haut. Von den Schnitten ist kaum mehr als ein feiner Strich geblieben.
    »Nun bist du für die Sammlung bereit«, sagt Sandford. Ich lege fragend den Kopf schief. »Eine Kreatur wie du muss natürlich angemessen bewundert werden.«
    Er zögert einen Moment, als warte er auf eine Antwort. »Dafür ist der Preis wirklich gering«, sagt er leichthin, als ich gezwungenermaßen stumm bleibe.
    Preis! Welchen denn, in Drei-Henkers-Namen? Der Lord tritt nahe an mein fragendes Gesicht heran, wischt mit seiner schmutzigen Hand etwas Schweiß von meinem Gesicht.
    »Es wird immer besser, wenn das Model während der Prozedur noch lebt.«
    Noch? Moment…
    »Ein Leben ist doch nicht zu viel verlangt, oder?«, fragt er mich ernsthaft mit runden Augen. »Es ist kein besonders hoher Preis, finde ich, vor allem, wenn es um solche erbärmlichen Versuche wie in deinem Fall geht.«
    Angst macht sich nun in mir breit, obwohl ich es besser weiß. Neuer Schweiß schießt aus meinen Poren und ich ekle mich vor mir selbst. Der Lord wendet mir nun den Rücken zu, reinigt seine Fingernägel mit dem kleinen gebogenen Messer.
    »Möchtest du vielleicht Gift nehmen? Denn, wenn ich dich gewaltsam umbringe, bleiben widerwärtige Wunden, die in diesem Leben nicht mehr verheilen. Das verstehst du doch«, sagt er sachlich.
    Ich nicke benommen. Irgendwie fühle ich mich bloßgestellt und … schuldig. Als hätte er Recht und mein Leben hat sich von dem eines hungernden Straßenjungen in das eines unterwürfigen Dieners verwandelt, der zwar wenigstens regelmäßig zu essen und ein warmes Feuer hat, aber dennoch …
    Heimlich zwicke ich mich heftig in die Seite, um aus diesem skurrilen Traum aufzuwachen. Es hilft nicht. Sandford nimmt sacht meinen Arm und führt mich durch einen weiteren Gang, den ich bislang nicht bemerkt habe, in einen dunklen, holzvertäfelten Raum. Irgendwie kommt er mir bekannt vor. Ich lege trotz des leichten ziehenden Schmerzes in meinem Rücken den Kopf in den Nacken und blicke nach oben. Der Raum dreht sich spiralförmig in die Höhe, bis er in Dunkelheit verschwindet, wie der Metzgerraum von vorhin, und ist gesäumt mit Sitzreihen wie in einer dieser englischen Universitäten. Oft habe ich Bilder gesehen und einmal – ich glaube, es war im Januar ´46 – durfte ich sogar Eirwyn und ihren Vater nach London begleiten, um dort eine von Dr. Faradays öffentlichen Weihnachtsvorlesungen über das Zusammenspiel von Licht und Magnetismus zu verfolgen. Ein Ausflug in die Welt der Naturwissenschaft mit einem überaus sittsamen und etwas scheuen Gentleman, dessen begeisterter Vortrag mich nie wieder wirklich losgelassen hat. Doch mit dem warmen »lecture theatre« der Royal Institution vor einigen Jahren hat dieser düstere Saal ohne

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