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GLÄSERN (German Edition)

GLÄSERN (German Edition)

Titel: GLÄSERN (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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streichelte seine eingefallene Wange. Sie sah auf einmal müde aus. Und unsicher. Er drehte langsam den Kopf und grinste breit, was wohl seine Freude über den Besuch der geliebten Tochter zeigen sollte; doch es wirkte eher grotesk und ein wenig wirr. Kleine Schauer liefen über meinen Rücken, als ich den einst stattlichen Grafen so sah. Vorsichtig schob er seine Finger in ihre Hand.
    »Sie sagte nicht, dass du kommst.« Seine Stimme war fester, als ich angenommen hatte. Eirwyn zwang sich zu einem Lächeln. »Sie hat mir immer gut zu Essen gegeben und manchmal sogar ein Gläschen Wein.« Er lächelte versonnen.
    Wir wechselten einen schnellen Blick. Anders als ich, war Eirwyn sichtlich irritiert.
    »Wer, Vater?«, fragte sie leise und beugte sich zu ihm hinab.
    Obwohl ich mich etwas abseits hielt, konnte ich den sauren Atem riechen, der dem Mund des Grafen entströmte. Ungewollte schauderte ich.
    »Das Dienstmädchen. Ich meine, ihr Name ist Genevre. Ein alter, alter …« Er hustete einmal kurz und knochentrocken. »… Name. Sie war oft bei mir, hat mich gepflegt, soweit es ihr möglich war; aber auch sie erkannte oftmals die Wirkung dieser Kräuter nicht.«
    Er hustete und es klang, als gurgelte er mit Wasser. Schon wieder Giniver. Hatte sie etwa tatsächlich vermutet, dass Lady Amaranth ihren Mann über den Jordan geleiten wollte? Unmöglich! Unsere Herrin hatte ihr Obdach und einen Zweck in der Gesellschaft gegeben. Sie vor ihrer hungrigen Sippschaft bewahrt. Wie hatte sie trotzdem so eigenwillig handeln können …?
    Ich stellte die Frage laut und der Graf lachte dröhnend, dass es wie raschelndes Laub klang. Seine wässrigen Augen verdrehten sich, um nun mich zu fixieren, und ich tat ihm den Gefallen und kam einen Schritt näher. In diesem Moment sah man ihm jedes seiner beinahe fünfundfünfzig Lebensjahre an. Ich erschrak ein wenig, als ich mir ins Gedächtnis rief, dass er nur wenig älter war als seine Frau, meine makellose Herrin.
    »Frederick«, sagte der Graf mit Bedacht. »Sie sind ein treuer Valet, seit wir Sie gefunden haben. Aber Sie sind blind, obwohl Sie meinen, alles sehen zu können. Meine Frau liebt mich sozusagen zu Tode.«
    »Vater, hör auf!«, bat Eirwyn.
    »Meiner Frau, Frederick, wäre das Ableben unserer Tochter ebenfalls äußerst genehm«, begann er und gab mir nicht den Ansatz zum Protest. »Jedoch weiß ich, dass sie – sicherlich schweren Herzens – auch mir nach dem Leben trachten muss. Denn ohne Eirwyn bin ich für sie sinnlos, da ich sie, zumindest in ihren Augen, nie so sehr geliebt habe, wie mein Kind. Sie versteht nicht, dass es mehr als nur eine Art der Liebe gibt. Und die Liebe eines Vaters zu seiner wunderschönen Tochter …« Er strich Eirwyn mit seinen Pergamentfingern sacht über die Wange »… ist stets eine sehr innige. Doch die Liebe zu seiner Ehegattin ist eine besondere. Ich kann dir versichern – ich gab ihr nie Grund, an meiner Zuneigung zu zweifeln. Doch nun ist es ohnehin spät, meine Lieben. Ich hoffe, nicht zu spät, dass ich deine Vermählung noch miterleben kann. Du hast klug gewählt, Lil´. Mit dem Herzen, nicht mit dem Verstand, wie es sich deine Mutter stets wünschte. Und du weißt, ich schätze ihre Wünsche sehr.«
    Er verzog die spröden Lippen erneut zu einem freudlosen Lächeln, die gelben Zähne wie verwitterte Grabsteine. Mir wurde schlecht und ich musste mich setzen. Während ich fahrig einen entfernten Stuhl voller Ampullen freiräumte, hielt ich mit einem Mal ein Fläschchen in der Hand. Darauf stand handschriftlich:

    50 g Aloepulver
40 ml destilliertes Wasser
20 ml Wasser aus Rosen, sowie
10 g Honig oder Geleé Royal, vermengt mit
100 ml Avocado-Öl
(entzündungshemmend, zum schnellen Verschließen von Wunden)

    Außerdem lag daneben ein älter aussehender Tiegel, auf welchem kaum noch leserlich stand:

    2 getrocknete Lilienblüten, 1 kl. Tasse Olivenöl, 2 Esslöffel Bienenhonig,
20 g weißes Wachs, 5 Teelöffel Orangenblütenwasser, 4 Teelöffel Lanolin.
(zum Bestreichen von (…) kühle Aufbewahrung, Nutzung stets zur Morgenstun (…).)

    Achtsam stellte ich beides fort und nahm Platz. Graf Hektors Augen folgten jeder meiner Bewegungen.
    »Auch Sie haben einen schweren Verlust erlitten, Frederick. Und dennoch sind Sie ihr treu ergeben. Da seht ihr die Macht, die meine einst so sanfte Blume besitzt.« Plötzlich veränderte sich sein Blick und er sah mit glasigen Augen an die Decke. »Wisst ihr, ich habe Hilfe erbeten. Doch

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