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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Blick machten in diesem Augenblick aus dem großen Oberstaatsanwalt ein lebendes Bild des Richterstandes, der die schönsten Beispiele bürgerlichen Mutes zeigen muß. In diesem so flüchtigen Augenblick stand er auf der Höhe der alten Richter des einstigen Parlaments zu Zeiten der Bürgerkriege, als die Präsidenten dem Tode gegenüber den Statuen gleich, die man ihnen errichtet hat, wie aus Marmor dastanden.
    »Nun, Furcht, mit einem entsprungenen Sträfling allein zu bleiben.« »Verlassen Sie uns, Herr Camusot,« sagte der Oberstaatsanwalt schnell. »Ich wollte Ihnen vorschlagen, mir Hände und Füße fesseln Zu lassen,« fuhr Jakob Collin kühl fort, indem er den beiden Richtern einen furchtbaren Blick zuwarf. Er machte eine Pause und sagte dann ernst: »Herr Graf, Sie hatten erst nur meine Achtung, aber Sie haben in diesem Augenblick meine Bewunderung.« »So, halten Sie sich für so furchtbar?« fragte der Oberstaatsanwalt mit einer Miene voller Geringschätzung. »Mich für furchtbar halten?« erwiderte der Verbrecher; »wozu? Ich bin es, und ich weiß es.«
    Jakob Collin nahm einen Stuhl und setzte sich mit der ganzen Unbefangenheit eines Mannes, der weiß, daß er seinem Gegner in einer Unterredung, bei der eine Macht mit der andern verhandelt, gewachsen ist.
    In diesem Augenblick kam Herr Camusot, der schon auf der Schwelle stand, ins Zimmer zurück; er trat zu Herrn von Granville heran und überreichte ihm zwei gefaltete Papiere. »Sehen Sie,« sagte der Richter zu dem Oberstaatsanwalt, indem er ihm das eine der Papiere zeigte. »Rufen Sie Herrn Gault zurück,« rief der Graf, sowie er den Namen der Kammerfrau der Herzogin von Maufrigneuse gelesen hatte; denn sie war ihm bekannt.
    Der Direktor der Conciergerie trat ein. »Schildern Sie uns«, sagte ihm der Oberstaatsanwalt ins Ohr, »die Frau, die den Untersuchungsgefangenen gesprochen hat.« »Klein, stark, dick, untersetzt,« erwiderte Herr Gault. »Die Person, für die der Erlaubnisschein gegeben wurde, ist groß und schlank,« sagte Herr von Granville. »Und welches Alter?« »Sechzig Jahre.«
    »Es handelt sich um mich, meine Herren?« fragte Jakob Collin. »Lassen Sie sehen,« fuhr er gutmütig fort, »suchen Sie nicht. Diese Person ist meine Tante, eine wahrhaftige Tante, eine Frau, eine Alte. Ich kann Ihnen viele Verlegenheiten ersparen ... Sie werden meine Tante nur dann finden, wenn ich es will ... Wenn wir so schwätzen, werden wir kaum vorwärts kommen.« »Der Herr Abbé spricht nicht mehr wie ein Spanier Französisch,« sagte Herr Gault, »er radebrecht nicht mehr.« »Weil die Dinge schon verwickelt genug sind, mein lieber Herr Gault!« erwiderte Jakob Collin mit einem bittern Lächeln, indem er den Direktor bei seinem Namen nannte.
    In diesem Augenblick stürzte Herr Gault auf den Oberstaatsanwalt zu und sagte ihm ins Ohr: »Nehmen Sie sich in acht, Herr Graf, dieser Mensch ist rasend.«
    Herr von Granville sah Jakob Collin langsam an und fand ihn ruhig; aber er erkannte alsbald die Wahrheit dessen, was der Direktor sagte. Diese trügerische Haltung verbarg die kalte und furchtbare Erregung der Nerven des Wilden. In Jakob Collins Augen brütete ein vulkanischer Ausbruch; seine Fäuste waren geballt. Es war wirklich der Tiger, der sich zusammenkrümmt, um auf eine Beute loszuspringen. »Lassen Sie uns allein,« sagte der Oberstaatsanwalt mit ernster Miene zu dem Direktor der Conciergerie und dem Richter.
    »Sie haben gut daran getan, Luciens Mörder wegzuschicken! ...« sagte Jakob Collin, ohne sich darum zu kümmern, ob Herr Camusot ihn hören konnte oder nicht, »ich konnte mich nicht mehr halten, ich wollte ihn erwürgen ...«
    Herrn von Granville schauderte es. Nie hatte er so viel Blut in den Augen eines Menschen gesehen, nie so viel Blässe in den Wangen, so viel Schweiß auf einer Stirn, noch eine solche Muskelspannung. »Wozu hätte Ihnen dieser Mord genützt?« fragte der Oberstaatsanwalt den Verbrecher ruhig. »Sie rächen die Gesellschaft jeden Tag, oder glauben sie zu rächen, Herr Graf, und Sie fragen mich nach dem Grunde einer Rache! Haben Sie denn nie in Ihren Adern gefühlt, wie da die Rachsucht ihre Wogen schlug? Wissen Sie denn nicht, daß dieser Dummkopf von Richter ihn uns getötet hat? Denn Sie haben ihn geliebt, meinen Lucien, und er liebte Sie! Ich kenne Sie auswendig, Herr Graf. Das liebe Kind erzählte mir alles, wenn er abends nach Hause kam; ich brachte ihn zu Bett, wie eine Bonne ihren Balg zu Bett bringt, ich

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