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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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einen furchtbaren Schrei aus.
    »Da ist der schreckliche Priester,« sagte sie, indem sie ihn Lucien zeigte. »Der!« sagte er lächelnd, »der ist so wenig Priester wie du ...« »Was ist er denn?« fragte sie beängstigt. »Nun, ein alter Schuft, der nur an den Teufel glaubt,« sagte Lucien.
    Wäre dieser Lichtstrahl, der auf die Geheimnisse des falschen Priesters fiel, von einem weniger ergebenen Wesen aufgefangen worden, als Esther es war, so hätte er Lucien auf immer vernichten können. Als die beiden Liebenden sich vom Fenster ihres Schlafzimmers in das Eßzimmer hinüber begaben, wo ihnen eben das Frühstück serviert worden war, trafen sie auf Carlos Herrera.
    »Was hast du hier zu tun?« fragte Lucien schroff. »Euch segnen,« sagte der verwegene Mensch, indem er das Paar anhielt und in den kleinen Salon der Wohnung zu treten zwang. »Hört mich an, meine Lieblinge! Amüsiert euch, seid glücklich, alles schön und gut! Das Glück um jeden Preis, das ist meine Lehre ... Aber du,« sagte er zu Esther, »du, die ich aus dem Kot gezogen und an Seele und Leib abgeseift habe, du maßt dir doch nicht an, dich Lucien in den Weg zu stellen? ... Was dich angeht, mein Kleiner,« fuhr er nach einer Pause fort, indem er Lucien ansah, »so bist du nicht mehr Dichter genug, um dich einer neuen Coralie preiszugeben. Wir schreiben Prosa. Was kann der Liebhaber Esthers werden? Nichts. Kann Esther Frau von Rubempré werden? Nein ... Nun, die Welt, meine Kleine,« sagte er, indem er seine Hand auf die Esthers legte, so daß sie erzitterte, als hätte eine Schlange sie umringelt, »die Welt darf nicht wissen, daß Sie leben; die Welt muß vor allem darüber im unklaren bleiben, daß ein Fräulein Esther Lucien liebt und daß Lucien in sie vernarrt ist ... Diese Wohnung wird Ihr Gefängnis sein, meine Kleine. Wenn Sie ausgehen wollen, und Ihre Gesundheit wird es erfordern, so werden Sie nachts spazieren fahren, in den Stunden, um die Sie nicht gesehen werden können; denn Ihre Schönheit, Ihre Jugend und die Vornehmheit, die Sie im Kloster erworben haben, würden in Paris zu schnell auffallen. Der Tag, an dem irgend jemand, wer es auch sei,« sagte er mit schrecklichem Nachdruck, den ein furchtbarer Blick begleitete, »erführe, daß Lucien Ihr Liebhaber oder Sie seine Geliebte sind, dieser Tag wäre der vorletzte Ihrer Tage. Man hat diesem jungen Grünschnabel eine Verordnung erwirkt, die ihm erlaubt, den Namen und das Wappen seiner mütterlichen Vorfahren zu führen. Aber das ist nicht alles. Der Titel ›Marquis‹ ist uns nicht zurückgegeben worden; und um ihn wiederzugewinnen, muß er ein Mädchen aus gutem Hause heiraten, zu deren Gunsten der König uns diese Gnade erweisen wird. Dieser Bund wird Lucien in die Welt des Hofes einführen. Dieses Kind, aus dem ich einen Mann zu machen verstanden habe, wird zunächst Gesandtschaftssekretär werden; später wird er an einem deutschen Hofe Botschafter, und mit Gottes oder meiner Hilfe – und meine ist mehr wert – wird er sich eines Tages auf die Bänke der Pairs setzen ...« »Oder auf die Bänke ...« sagte Lucien, indem er diesen Menschen unterbrach. »Schweig!« rief Carlos, indem er Lucien mit seiner breiten Hand den Mund zuhielt. »Ein solches Geheimnis einer Frau! ...« flüsterte er ihm ins Ohr. »Esther eine Frau!« rief der Verfasser der ›Margueriten‹. »Immer noch Sonette?« sagte der Spanier, »oder besser Albernheiten! All diese Engel werden früher oder später wieder zu Frauen,» nun hat die Frau immer Augenblicke, in denen sie zugleich Affe und Kind ist: zwei Wesen, die uns töten, weil sie lachen wollen ... Esther, mein Juwel,« sagte er zu dem entsetzten jungen Zögling, »ich habe Ihnen zur Kammerfrau ein Geschöpf erlesen, das mir ergeben ist, als wäre es meine Tochter. Zur Köchin werden Sie eine Mulattin haben; das gibt einem Hause einen stolzen Ton. Mit Europa und Asien werden Sie hier für einen Tausendfrankenschein monatlich, alles eingeschlossen, wie eine Königin ... des Theaters leben können. Europa ist Schneiderin, Modistin und Statistin gewesen; Asien hat einem Lord und Feinschmecker gedient. Diese beiden Geschöpfe werden für Sie zwei Feen sein.«
    Als Esther Lucien vor diesem Wesen, das sich mindestens einer Entweihung und einer Fälschung schuldig gemacht hatte, sehr klein werden sah, empfand sie, die durch ihre Liebe geheiligt war, auf dem Grunde ihres Herzens einen tiefen Schrecken. Ohne etwas zu erwidern, zog sie Lucien ins Zimmer

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