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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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nicht die Engel herabgestiegen sind, um die Kräuter des Himmels darunter zu mischen. Sie wird jeden Morgen selbst in die Markthallen gehen und sich wie der Teufel schlagen, der sie ist, um die Dinge zum angemessensten Preis zu erhalten; sie wird die Neugierigen durch ihre Verschwiegenheit ermüden. Da man aussprengen wird, Sie seien in Indien gewesen, so wird Asien viel dazu beitragen, diese Fabel wahrscheinlich Zu machen, denn sie ist eine jener Pariserinnen, die geboren werden, um dem Lande anzugehören, das sie wollen; aber mein Rat ist nicht etwa der, daß Sie eine Fremde seien ... Europa, was meinst du dazu? ...«
    Europa bildete einen vollkommenen Gegensatz zu Asten, denn sie war die zierlichste Soubrette, die sich Monrose je auf dem Theater als Partnerin hätte wünschen können. Schlank, scheinbar leichtfertig, mit einem Wiesellärvchen und runder Nase, so bot Europa dem Blick ein Gesicht dar, das von den Pariser Verderbtheiten ermüdet ist, das fahle Gesicht eines mit rohen Äpfeln ernährten Mädchens, bleichsüchtig und faserig, weich und zäh. Ihren kleinen Fuß vorgesetzt, die Hände in den Taschen ihrer Schürze, zitterte sie, obwohl sie reglos dastand, so voll Leben war sie. Sie war zugleich Grisette und Statistin und mußte trotz ihrer Jugend schon viele Berufe ausgeübt haben. Verdorben wie alle Insassinnen des Magdalenenstifts, [Fußnote: Besserungsanstalt für gefallene Mädchen.] konnte sie ihre Eltern bestohlen und die Bänke der Sittenpolizei gestreift haben. Asien flößte großen Schrecken ein, aber man kannte sie auf den ersten Blick ganz; sie stammte in gerader Linie von Locusta ab. Europa aber flößte eine Unruhe ein, die nur wachsen konnte, je mehr man mit ihr zu tun hatte; ihre Verderbtheit schien keine Grenzen zu haben; sie mußte, wie das Volk sagt, verstehen, Berge zum Wackeln zu bringen.
    »Die gnädige Frau könnte aus Valenciennes sein,« sagte Europa mit leiser und trockener Stimme; »daher bin ich. Will der gnädige Herr«, wandte sie sich pedantisch an Lucien, »uns sagen, welchen Namen er der gnädigen Frau zu geben gedenkt?«
    »Frau van Bogseck,« erwiderte der Spanier, indem er auf der Stelle Esthers Namen ausgab. »Die gnädige Frau ist eine Jüdin aus Holland, die Witwe eines Kaufmanns und leidet an einer Leberkrankheit, die sie aus Java mitgebracht hat ... Kein großes Vermögen, um keine Neugier zu wecken.« »Genug zum Leben, sechstausend Franken Rente; und wir werden uns über ihre Knickerei beklagen?« sagte Europa. »Ganz recht,« sagte der Spanier mit einer Neigung des Kopfes. »Ihr verteufelten Possenspielerinnen!« fuhr er in beängstigendem Tone fort, da er zwischen Asien und Europa Blicke auffing, die ihm mißfielen, »ihr wißt, was ich euch gesagt habe? Ihr dient einer Königin, ihr schuldet ihr die Achtung, die man einer Königin schuldet; aber ihr werdet sie hegen, als hegtet ihr eine Rache; ihr werdet ihr ebenso ergeben sein wie mir. Weder der Pförtner, noch die Nachbarn, noch die Mieter, kurz, niemand in der Welt darf erfahren, was hier vorgeht. Es ist eure Sache, jede Neugier zu vereiteln, wenn sie erwacht. Und die gnädige Frau«, fügte er hinzu, indem er seine große behaarte Hand auf Esthers Arm legte, »darf nicht die geringste Unvorsichtigkeit begehen; ihr werdet sie im Notfall daran hindern, aber ... immer achtungsvoll. Europa, du wirst wegen der Toilette der gnädigen Frau mit der Außenwelt in Berührung bleiben, und du wirst selbst daran arbeiten, um zu sparen. Kurz, niemand, nicht einmal die unbedeutendsten Leute setzen den Fuß in die Wohnung. Ihr beide werdet hier alles machen müssen ... Meine kleine Schöne,« sagte er zu Esther, »wenn Sie abends im Wagen ausfahren wollen, so werden Sie es Europa sagen, sie weiß, wo sie Ihre Leute suchen muß, denn Sie werden einen Jäger erhalten, der wie diese beiden Sklavinnen ebenfalls aus meiner Hand hervorgegangen ist.«
    Esther und Lucien fanden keine Worte; sie hörten dem Spanier zu und sahen die beiden kostbaren Wesen an, denen er seine Befehle gab. Welchem Geheimnis verdankte er die Unterwürfigkeit und Ergebenheit, die sich auf diesen beiden Gesichtern malten, deren eines so boshaft eigensinnig und das andere von so tiefer Grausamkeit war? Er erriet Esthers und Luciens Gedanken; denn beide schienen erstarrt, wie Paul und Virginie es beim Anblick zweier furchtbarer Schlangen gewesen wären, und er sagte ihnen mit seiner guten Stimme ins Ohr: »Ihr könnt auf sie zählen wie auf mich; habt

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