Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Baron von Nucingen erfaßt. Dieser plumpe Finanzier allein konnte ein Geheimnis verraten haben, das sich auf die Köpfe Contensons, Peyrades und Corentins beschränkte. Der Greis beschuldigte den Bankier, er wolle sich, nachdem er sein Ziel erreicht hatte, von der Zahlung entbinden. Eine einzige Unterredung hatte ihm genügt, um die Verschlagenheit des verschlagensten aller Bankiers zu erraten.
›Er akkordiert mit jedermann, selbst mit uns; aber ich werde mich rächen,‹ sagte der Biedermann bei sich selber. ›Ich habe Corentin nie um etwas gebeten: ich werde ihn bitten, daß er mir hilft, mich an diesem bornierten Geldsack zu rächen. Verdammter Baron, du sollst erfahren, mit was für Holz ich einheize; du sollst deine Tochter eines Morgens geschändet vorfinden ... Aber liebt er seine Tochter?‹
Am Abend nach dieser Katastrophe, die alle Hoffnungen des Greises umstieß, war er um zehn Jahre gealtert. Als er mit Corentin sprach, mischte er unter seine Beschwerden die Tränen, die ihm die Aussicht in die traurige Zukunft entlockte, wie er sie seiner Tochter, seinem Idol, seiner Perle, seinem Gottesopfer vermachte.
»Wir werden diese Angelegenheit verfolgen,« sagte Corentin zu ihm. »Wir müssen zunächst in Erfahrung bringen, ob der Baron dein Denunziant ist. Sind wir vorsichtig gewesen, indem wir uns auf Gondreville stützten? Dieser alte Malin verdankt uns zuviel, als daß er nicht versuchen sollte, uns überzuschlucken; deshalb lasse ich auch seinen Schwiegersohn Keller überwachen; der ist in der Politik ein Tropf und ganz imstande, an einer Verschwörung teilzunehmen, die die ältere Linke zugunsten der jüngeren stürzen will ... Morgen werde ich erfahren, was bei Nucingen vorgeht, ob er seine Geliebte gesehen hat, und woher dieser Zügelzug kommt ... Verzweifle nicht. Zunächst wird der Präfekt nicht lange in seiner Stellung bleiben ... Die Zeit geht mit Revolutionen schwanger, und die Revolutionen, die sind unser trübes Wasser.«
In der Straße erscholl ein eigentümlicher Pfiff.
»Das ist Contenson,« sagte Peyrade, indem er ein Licht ins Fenster stellte, »und es gibt etwas, was mich persönlich angeht.«
Einen Augenblick darauf erschien der treue Contenson vor den beiden Polizeignomen, die er wie zwei Genies verehrte. »Was gibt es?« fragte Corentin. »Neues! Ich komme aus der Hundertdreizehn, wo ich alles verloren habe. Was sehe ich unter den Galerien? ... Georg! Diesen Burschen hat der Baron fortgeschickt, weil er ihn für einen Spitzel hält.« »Das ist die Wirkung eines Lächelns, das mir entschlüpft ist,« sagte Peyrade. »Oh, wieviel Unheil, das durch ein Lächeln kam, habe ich erlebt!« sagte Corentin. »Nicht zu zählen, was durch einen Hieb mit der Gerte kommen kann,« sagte Peyrade mit einer Anspielung auf die Angelegenheit Simeuse (siehe ›Eine dunkle Begebenheit‹). »Aber laß sehen, Contenson, was geht vor?« »Dies,« fuhr Contenson fort: »Ich habe Georg zum Schwatzen gebracht, indem ich ihn kleine Gläschen in unendlich vielen Farben bezahlen ließ, die ihn betrunken machten; ich meinerseits muß wie ein Brennkolben sein! Unser Baron ist, gepfropft voll Serailpastillen, in die Rue Taitbout gegangen. Dort hat er die Schöne gefunden, die Sie kennen. Aber was für ein Possen! Diese Engländerin ist nicht seine ›Unpegannte‹! ... Und er hat dreißigtausend Franken ausgegeben, um die Kammerfrau zu gewinnen ... Eine Dummheit! Das hält sich für groß, weil es kleine Dinge mit großen Kapitalien macht; drehen Sie den Satz um, und Sie finden das Problem, das der Mann von Genie löst. Der Baron ist in einem erbarmungswürdigen Zustand nach Hause gekommen. Am folgenden Tage sagt Georg, um den ehrlichen Kerl zu spielen, zu seinem Herrn: ›Weshalb bedient der gnädige Herr sich solcher Galgenstricke? Wenn der gnädige Herr sich auf mich verlassen wollte, so würde ich ihm seine Unbekannte finden, denn die Beschreibung, die der gnädige Herr mir gegeben hat, genügt mir; ich werde ganz Paris umkehren.‹ ›Geh,‹ hat der Baron erwidert, ›ich werde dich gut belohnen!‹ Georg hat mir all das erzählt, vermischt mit den lächerlichsten Einzelheiten. Aber ... man ist für den Regen geschaffen! Am folgenden Tage erhält der Baron einen anonymen Brief, worin man ihm etwa schreibt: ›Herr von Nucingen stirbt vor Liebe zu einer Unbekannten dahin; er hat bereits ohne jeden Zweck viel Geld ausgegeben; wenn er sich heute um Mitternacht am Ende der Brücke von Neuilly einfinden und in
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