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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Verbrecher einen Roman der Hoffnung zurechtgelegt, und jetzt war die verhängnisvolle Stunde gekommen.
    »Meine lieben Kinder,« sagte Asien, »wohin wollt ihr gehen? ... Denn der Baron von Nucingen ...« Esther sah den berühmten Bankier an und ließ sich eine wundervoll gespielte Geste der Überraschung entschlüpfen. »Ja, main Kind, ich bin der Baron von Nischinguen.« »... Der Baron von Nucingen darf und kann nicht in einem solchen Hundestall bleiben. Hören Sie mich an ... Ihre ehemalige Kammerfrau Eugenie ...« »Eischenie! Aus der Rie Daidpoud? ...« rief der Baron. »Nun ja, die gerichtliche Bewahrerin der Möbel,« erwiderte Asien, »die die Wohnung der schönen Engländerin vermietet hat.« »Ach, ich verschdehe!« sagte der Baron. »Die ehemalige Kammerfrau der gnädigen Frau«, fuhr Asien ehrfurchtsvoll fort, indem sie auf Esther deutete, »wird Sie heute abend sehr wohl aufnehmen, und nie wird der Exekutor es sich einfallen lassen, sie in ihrer ehemaligen Wohnung zu suchen, die sie vor drei Monaten verlassen hat ...« »Auskeßaichnet, auskeßaichnet!« rief der Baron. »Üprikens genne ich die Exegudoren; ich habe maine Worte, damit sie verschwinten.« »Sie werden in Eugenie eine schlaue Füchsin haben,« sagte Asien, »ich selbst habe sie der gnädigen Frau gegeben ...« »Ich genne sie,« rief der Millionär lachend; »Eischenie hat mich um treißigtausend Franken kebrellt ...«
    Esther machte eine Geste des Grauens, auf die hin ein Mann von Herz ihr sein Vermögen anvertraut hätte. »Oh, durch maine eikene Schuld,« fuhr der Baron fort, »ich lief Ihnen nach ...« Und er erzählte das Quiproquo, das die Vermietung der Wohnung an eine Engländerin zur Folge gehabt hatte.
    »Nun, sehen Sie, gnädige Frau?« sagte Asien; »davon hat Ihnen Eugenie in ihrer Schlauheit nichts gesagt! Aber die gnädige Frau ist sehr an dieses Mädchen gewöhnt,« sagte sie zu dem Baron, »behalten Sie sie trotzdem.«
    Dann nahm Asien Nucingen beiseite und sagte zu ihm: »Geben Sie Eugenie fünfhundert Franken im Monat, das ist eln rundes Sümmchen, und Sie werden alles erfahren, was die gnädige Frau tut; geben Sie sie ihr zur Kammerfrau. Eugenie wird um so besser für Sie passen, als sie Sie bereits gerupft hat ... Nichts fesselt eine Frau mehr an einen Mann, als wenn sie ihn rupft. Aber halten Sie Eugenie am Zügel: sie tut alles für Geld; es ist ein Greuel mit diesem Mädchen! ...« »Und du? ...« »Ich,« sagte Asien, »ich halte mich schadlos.«
    Nucingen, dieser so abgefeimte Mensch, hatte eine Binde vor den Augen; er ließ mit sich umgehen wie ein Kind. Der Anblick dieser aufrichtigen und anbetungswürdigen Esther, die sich die Augen trocknete und mit dem Anstand einer Jungfrau die Maschen ihrer Stickerei zog, gab dem verliebten Greis die Empfindungen zurück, die er im Wald von Vincennes gehabt hatte: er hätte den Schlüssel zu seiner Kasse hergegeben! Er fühlte sich jung, er hatte das Herz voller Anbetung und wartete nur auf Asiens Aufbruch, um sich dieser Madonna Raffaels zu Füßen werfen zu können. Dieses plötzliche Aufblühen der Kindheit im Herzen eines Luchses und Greises gehört zu den sozialen Erscheinungen, die die Physiologie aufs leichteste erklären kann. Unter dem Gewicht der Geschäfte zusammengepreßt, erstickt von ständigen Berechnungen, von dem fortwährenden Nachdenken über die Jagd nach den Millionen, taucht die Jugend mit ihren wunderbaren Illusionen wieder empor, und sie schwingt sich auf und blüht auf, eine Ursache, ein vergessener Keim, dessen Wirkungen, dessen wunderbare Blüten dem Zufall gehorchen, einer Sonne, die mit spätem Strahl hervorbricht. Der Baron war mit zwölf Jahren Kommis in dem alten Hause Aldrigger in Straßburg gewesen, und also hatte er nie die Welt der Empfindungen kennen gelernt. Als er nun vor seinem Idol stand, summten ihm tausend Phrasen im Gehirn; da er sie aber nicht auf die Lippen brachte, so gehorchte er dem brutalen Verlangen, das im Siebziger noch einmal zum Durchbruch kam.
    »Wollen Se gommen in die Rie Daidpoud?« fragte er. »Wohin Sie wollen,« erwiderte Esther, indem sie sich erhob. »Fohin Se sollen!« wiederholte er hingerissen. »Sie sind ain Engel vom Himmel, den ich liebe, als wäre ich ain glainer junger Mensch, obgleich ich kraue Haare habe ...« »Ach, Sie können ruhig sagen: weiße! Denn sie sind von einem zu schönen Schwarz, um nur erst grau zu sein,« sagte Asien. »Keh wek, schlechtes Weib! Du hantelst mit Menschenfleisch! Du

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