Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Vergangenheit geworfen. Ich liebe Sie nicht weniger, als ich meine Tochter Augusta liebe, die mein einziges Kind ist, und wie ich meine Frau lieben würde, wenn meine Frau mich hätte lieben können. Wenn das Glück die einzige Rechtfertigung eines verliebten Greises ist, so fragen Sie sich, ob ich nicht eine lächerliche Rolle spiele. Ich habe aus Ihnen den Trost und die Freude meiner alten Tage gemacht. Sie wissen ja, daß Sie bis zu meinem Tode so glücklich sein werden, wie eine Frau es nur sein kann; und Sie wissen auch, daß Sie nach meinem Tode reich genug sein werden, um Ihr Schicksal vielen Frauen beneidenswert erscheinen zu lassen. Von allen Geschäften, die ich mache, seit ich das Glück gehabt habe, mit Ihnen zu sprechen, wird im voraus Ihr Anteil erhoben, und Sie haben Ihr Konto im Hause Nucingen. In einigen Tagen werden Sie in ein Haus einziehen, das früher oder später das Ihre sein wird, wenn es Ihnen gefällt. Lassen Sie sehen: werden Sie dort noch immer Ihren Vater empfangen, wenn Sie mich empfangen, oder werde ich endlich glücklich sein? Vergeben Sie mir, wenn ich Ihnen so offen schreibe; aber wenn ich in Ihrer Nähe bin, so habe ich keinen Mut mehr, und ich fühle dann nur zu sehr, daß Sie meine Herrin sind. Ich habe nicht die Absicht, Sie zu beleidigen, ich will Ihnen nur sagen, wie sehr ich leide und wie grausam es in meinem Alter ist, warten zu müssen, während jeder Tag mir Hoffnungen und Genüsse entführt. Das Zartgefühl meines Verhaltens ist übrigens eine Bürgschaft für die Aufrichtigkeit meiner Absichten. Habe ich je wie ein Gläubiger gehandelt? Sie sind wie eine Zitadelle, und ich bin kein junger Mann mehr. Sie antworten auf meine Beschwerden, es handle sich um Ihr Leben, und ich glaube es Ihnen, wenn ich Sie höre; aber hier verfalle ich wieder schwerem Kummer, Zweifeln, die uns beide entehren. Sie sind mir ebenso gut, ebenso rein wie schön erschienen; aber Sie gefallen sich darin, meine Überzeugungen zu vernichten. Urteilen Sie selbst! Sie sagen mir, Sie hätten eine Leidenschaft im Herzen, eine unerbittliche Leidenschaft, und Sie weigern sich, mir den Namen dessen anzuvertrauen, den Sie lieben... Ist das natürlich? Sie haben aus einem ziemlich starken Menschen einen Menschen von unerhörter Schwäche gemacht... Sehen Sie, wie weit ich gekommen bin! Ich bin nach fünf Monaten gezwungen, Sie zu fragen, welche Zukunft Sie meiner Leidenschaft bestimmen. Und ich muß auch wissen, welche Rolle ich bei der Einweihung Ihres Hauses spielen werde. Geld ist mir nichts, wenn es sich um Sie handelt; ich werde nicht so dumm sein, mir in Ihren Augen aus dem, was ich verachte, ein Verdienst zu machen; aber wenn meine Liebe grenzenlos ist, so ist mein Vermögen beschränkt, und ich lege nur um Ihretwillen Wert darauf. Nun, wenn ich Ihnen alles gäbe, was ich besitze, und dadurch als Armer Ihre Liebe gewinnen könnte, so würde ich lieber arm und von Ihnen geliebt sein, als reich und verschmäht. Sie haben mich so sehr verwandelt, meine teure Esther, daß mich niemand mehr erkennt: ich habe für ein Bild von Joseph Bridau zehntausend Franken bezahlt, weil Sie mir gesagt hatten, daß er ein verkannter Mann von Talent sei. Und allen Armen, denen ich begegne, gebe ich in Ihrem Namen fünf Franken. Nun, und was verlangt der arme Greis, der sich als Ihren Schuldner ansieht, wenn Sie ihm die Ehre erweisen, irgend etwas anzunehmen? ... Er will nur eine Hoffnung; und was für eine Hoffnung! Großer Gott! Ist es nicht vielmehr die Gewißheit, von Ihnen nie mehr zu erlangen, als was meine Leidenschaft von Ihnen erhalten wird? Aber das Feuer meines Herzens wird Ihrem grausam trügerischen Gewähren entgegenkommen. Sie sehen mich bereit, mich allen Bedingungen zu fügen, die Sie mir für mein Glück, für meine seltenen Genüsse stellen mögen; aber wenigstens sagen Sie mir, daß Sie an dem Tage, an dem Sie von Ihrem Hause Besitz ergreifen werden, das Herz und die Knechtschaft dessen annehmen wollen, der sich für den Nest seiner Tage nennt
Ihren Sklaven
Friedrich von Nucingen.«
»Ach, er langweilt mich, dieser Millionentopf!« rief Esther aus, die wieder zur Kurtisane geworden war. Und sie nahm Briefpapier und schrieb, sooft das Blatt es zuließ, den berühmten Satz, der zu Scribes Ruhm sprichwörtlich geworden ist: »Nehmen Sie meinen Bären!« [Fußnote: Bezieht sich auf ein Vaudeville von Scribe und Saintine, in dem ein Bärenführer mit obigem Satz seinen Bären anpreist.]
Eine Viertelstunde
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