Glanz
akzeptieren!«
»Die Wahrheit? Nichts hier ist wahr!« Während ich mit dem einen Arm Eric umklammert hielt, machte ich mit dem anderen eine umfassende Bewegung. »Alles ist nur ein Traum!«
Der Flammenkopf nickte. »Ja, Anna. Aber es ist nicht sein Traum. Es ist Ihrer!«
Seine Worte trafen mich wie Geschosse. Ich spürte, wie ich unwillkürlich zurücktaumelte. Beinahe wäre ich gestolpert und rückwärts hingeschlagen. »Sie lügen!«, brüllte ich. »Sie sind Hades! Satan, der Prinz der Lügen!«
Der brennende Mann schüttelte langsam den Kopf, und seine Stimme klang plötzlich nicht mehr heiser und unangenehm, sondern traurig und auf seltsame Weise vertraut. »Ich bin nur eine Phantasiefigur, Anna. Ein Spuk in Ihrem Kopf. Ich kann Sie nicht belügen. Das können nur Sie selbst.«
Ich drehte mich zu dem Tor um. Das Licht schien jetzt wieder kräftiger durch die Ritzen. Es brannte kalt in meinen Augen. Und tief in meinem Herzen begann ich zu verstehen. Irgendwie hatte ich es vielleicht von Anfang an gewusst.
Doch immer noch wehrte sich mein verzweifelter Verstand gegen die Erkenntnis. »Ich werde nicht ohne meinen Sohn gehen!«, schrie ich.
»Ihr Sohn ist tot, Anna«, sagte der brennende Mann leise. »Lassen Sie ihn endlich los!«
»Nein!« Tränen rannen mir über die Wangen, bittere, schwere Tränen. Als sie auf das Wasser des Sees trafen, bildeten sie tiefschwarze Schlieren.
Ich betrachtete den leblosen Körper in meinen Armen, der sich plötzlich so schrecklich kalt anfühlte. Ein letztes |386| Mal rüttelte ich ihn. »Wach auf, Eric! Bitte! Das alles ist nur ein Traum, das musst du endlich verstehen! Mach die Augen auf!«
»Sie sind es, die aufwachen muss, Anna«, sagte Dr. Ignacius. Seine Worte brannten in meinen Ohren, wie nur die Wahrheit brennen kann.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich eine Entscheidung treffen musste. Ich konnte mich dem kalten, harten Licht der Realität stellen oder in dieser erdachten Welt bleiben, bei meinem Sohn. Ich wusste, ich würde ihn aufwecken können, sobald sich das Tor des Lichts für immer schloss. Schließlich war ich in dieser Welt eine Göttin. Zusammen mit Eric würde ich über die Ebene der Tore schreiten und Hunderte phantastischer Welten erforschen. Was konnte besser sein als das?
Und doch wusste ich, dass es nur eine Illusion war. Und wie bei jeder Illusion würde ich am Ende einen hohen Preis zahlen, wenn ich mich ihr hingab.
Mein Blick glitt hinauf zum Straßenrand. Neben dem Krankenwagen stand eine junge Frau mit langen, dunklen Haaren. Sie sah mich stumm an.
Maria.
In ihren Augen lag wieder jene tiefe Traurigkeit, die ich dort von Anfang an gesehen und doch nicht erkannt hatte. Jetzt endlich wusste ich, was sie bedeutete.
Ich beugte mich zu Erics schlaff herunterhängendem Kopf. »Ich muss gehen«, flüsterte ich. »Wir sehen uns wieder, mein Sohn. Irgendwann.« Dann ließ ich ihn los.
Er versank lautlos im Wasser. Einen Moment konnte ich seinen bleichen Körper noch unter der Oberfläche sehen, dann verschwand er im Dunkel der Tiefe. Von plötzlicher Reue erfüllt griff ich nach ihm, doch da war nichts mehr, so als habe er sich im Wasser des Sees aufgelöst.
|387| Ich starrte eine Weile in die kalte Tiefe. Meine Tränen bildeten schwarze Tintentropfen. Schließlich hob ich die Arme und glitt mit einer einzigen Bewegung aus dem Wasser, bis ich wieder ein paar Zentimeter über der Oberfläche schwebte.
Ich warf noch einmal einen Blick zu dem brennenden Mann, der am Ufer stand und wie zum Abschied eine Hand hob. Auf Marias Gesicht leuchtete ein Lächeln.
Wie ein Geist schwebte ich langsam zu der Tür mitten im See. Ihr Licht schmerzte in meinen Augen, auf meiner Haut, erfüllte meinen Mund mit dem bitteren Geschmack der Wahrheit. Ich streckte meine Hand aus und öffnete sie.
|388| 42.
Gleißende Helligkeit empfängt mich, doch sie schmerzt nicht. Es ist, als ob ich die Augen schon seit langem geöffnet und doch nichts gesehen habe.
Mein Blick ist verschwommen. Vor mir – über mir – erkenne ich nur eine neblig weiße Fläche. Die Zimmerdecke? Ich muss auf dem Rücken liegen. Meinen Körper spüre ich nicht. Da ist nur etwas Fremdes, Unangenehmes in meiner Nase.
»Mom?« Eine Stimme in meinem linken Ohr. Sie tut weh, weil sie so laut ist. Weil sie voller Liebe ist. Und weil es nicht Erics Stimme ist.
Ich will den Kopf drehen, doch ich weiß nicht mehr, wie das geht.
Erinnerungen stürzen auf mich ein wie faustgroße
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