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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Hagelkörner.
     
    Wir sind zu viert im Auto. Ein alter Country-Song dröhnt aus dem Radio. Wir singen aus voller Kehle mit, schief und schön. Das verlängerte Wochenende an der felsigen Küste von Maine war wunderschön, und wir haben gute Laune, auch wenn die Interstate 84 gesperrt ist und wir einen Umweg machen müssen. Wir haben keine Eile.
    Wir fahren am Ufer eines kleinen Sees entlang. Ein leichter Wind kräuselt das ruhige Wasser. Ich war noch nie in dieser Gegend. Es ist hübsch hier.
    Ein Laster kommt uns entgegen. Hinter ihm schert plötzlich ein Wagen zum Überholen aus: ein alter, klappriger |389| Ford. Ich sehe die aufgerissenen Augen des Fahrers. Sie sind rot. Der Mann ist sturzbetrunken.
    Ralph hat nicht einmal mehr die Zeit zu fluchen. Er reißt den Wagen nach rechts von der Straße. Etwas Weißes explodiert in mein Gesicht: der Airbag.
    Mein erster Gedanke, als der Wagen sich nicht mehr überschlägt, ist: Stell die Musik aus. Doch ich komme nicht an den Schalter. Irgendwie ist alles verkehrt. Dann wird mir klar: Ich hänge mit dem Kopf nach unten im Sitz. Ich löse den Sicherheitsgurt, öffne die Tür, klettere aus dem Auto. Ich rapple mich auf, spüre keinen Schmerz, nur die Sonne in meinem Gesicht, den Wind, der viel wärmer ist als die Luft aus dem Gebläse der Klimaanlage.
    Der Wagen liegt am Fuß der Böschung auf dem Dach. Mit dem linken Kotflügel, der jetzt rechts aufragt, hat er eine Buche gerammt, die direkt am Ufer des Sees steht.
    Ich höre ein leises »Wusch«, wie wenn man einen Gasherd anzündet. Flammen lecken aus dem Vorderteil des Wagens. Es beginnt zu qualmen. Einen Moment starre ich verständnislos auf das Wrack. Dann erst beginne ich zu begreifen, was passiert ist.
    Ich drehe mich um. Das Fenster der linken Rückbank ist heil geblieben. Dahinter ist es nebelgrau vom Rauch. Ich sehe ein Gesicht, das sich gegen die Scheibe drückt. Die Augen sind weit aufgerissen.
    Eric!
    Ein Schrei erklingt. Ist es meiner? Ich weiß nur, dass ich ihn aus dem Wrack befreien muss. Meine Beine sind für einen Moment gelähmt wie in einem Alptraum. Als ich sie wieder spüre, hält mich jemand am Arm fest. »Nicht! Du kannst ihm nicht helfen!«
    Ich drehe mich um.
    |390| »Mom? Kannst du mich hören?«
    Ich starre weiter an die weiße Decke, versuche, die Augen zu bewegen. Sie leisten Widerstand, als seien sie festgerostet. Aber ganz langsam kann ich sie nach links drehen. Verschwommen erkenne ich ein Gesicht, wie einen rosa Ballon, dem jemand eine schwarze Perücke aufgesetzt hat.
    Maria.
    Sie hat mich festgehalten. Sie hat verhindert, dass ich Eric aus dem brennenden Autowrack befreie. Sie ist schuld an seinem Tod.
    Ich weiß, dass das nicht stimmt.
    Kurz nachdem ich mich zu ihr umgedreht hatte, gab es eine Explosion, und der Wagen war in Flammen gehüllt. In schrecklicher Klarheit sehe ich Erics Gesicht vor mir, Augen und Mund nur noch dunkle Flecken hinter den Flammen, die an der Scheibe emporlecken.
    Ralph und Eric hatten keine Chance. Die Feuerwehr brauchte zwanzig Minuten, um ihre Leichen aus dem Auto zu schneiden, so verkeilt waren sie. Ich wäre vermutlich schwer verletzt worden, vielleicht gestorben, wenn Maria mich nicht zurückgehalten hätte. Ich weiß das; ich wusste es schon, als der Notarzt eintraf. Aber mein Herz hat es einfach nicht verstanden.
    »Dr. Ignacius! Dr. Ignacius, kommen Sie bitte!« Marias Stimme klingt aufgeregt. »Ich … ich glaube, sie hat ihre Augen bewegt!«
    Kann man vergessen, dass man eine Tochter hat?
    Ich konnte es offenbar. Ich habe sie verdrängt, so wie ich jeden Gedanken an Erics und Ralphs Tod verdrängt habe.
    Die Wochen nach dem Unfall müssen für Maria die Hölle gewesen sein. Ich selbst habe diese Zeit kaum bewusst |391| wahrgenommen. Ich war leer, ausgehöhlt, ein Zombie.
    Ein Priester hat versucht, mir zu helfen, aber ich habe aufgehört, an Gott zu glauben, als ich fünfzehn war. Ich vermute, es wäre nicht in Seinem Interesse gewesen, wenn ich wieder damit angefangen hätte, nachdem Er mir meinen Sohn genommen hatte.
    Ein Psychiater hat versucht, mir zu helfen. Er hat mir ein Medikament gegen die Depression verschrieben: Glanotrizyklin.
    Es hat gewirkt.
    Dabei empfand ich gar keine Trauer. Ich empfand gar nichts. Ich hatte keine Gefühle mehr – nicht einmal Zorn. Ich bewegte mich mechanisch durch den Tag wie einer dieser Aufziehaffen, die aufgeregt herumhüpfen, dabei wie verrückt zwei kleine Becken aneinanderschlagen und die ganze Zeit blöde

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