Glanz
Selektionsprozess sind nicht immer die Produkte erfolgreich, die uns nützen, sondern vor allem solche, |83| die uns dazu bringen können, mehr davon herzustellen. Als Beispiele wurden Schokolade, Zigaretten, Alkohol und auch Computerspiele genannt. Sie hätten sich in einem Prozess kontinuierlicher Mutation und Selektion immer besser an die Bedürfnisse und Neigungen Jugendlicher angepasst, argumentierte der Autor. Inzwischen seien sie so faszinierend geworden, dass sich viele ihrem Reiz nicht mehr entziehen könnten. So seien sie zu einer modernen Droge mutiert und gefährdeten ernsthaft die Zukunft einer ganzen Generation.
Ich hatte die Thesen für übertrieben gehalten. Zweifellos verbrachte mein eigener Sohn mehr Zeit am Computer, als gut für ihn war. Aber hatte nicht auch ich in seinem Alter Dinge getan, die meine Eltern nicht verstanden hatten und die in ihren Augen falsch und gefährlich gewesen waren? Ich dachte an ausschweifende Partys, ungeschützten Sex und die zahllosen Joints, die ich geraucht hatte. All das war auch nicht ohne Risiko gewesen, aber ich hatte es schließlich überlebt, war vernünftig geworden und zu einer verantwortungsbewussten Frau gereift.
Nun, vielleicht war ich am Ende doch nicht so verantwortungsbewusst, wie ich glaubte.
Ich hatte mich immer bemüht, Verständnis zu zeigen und Eric genügend Freiraum für die Entwicklung seiner Persönlichkeit zu lassen. Erst als ich merkte, dass seine schulischen Leistungen immer schwächer wurden, hatte ich versucht einzugreifen.
Hätte ich nur geahnt, dass mehr dahintersteckte! Aber nichts an Erics Verhalten hatte darauf hingedeutet, dass er Drogen nahm. Ich hatte auch keine Ahnung, woher er das Geld dafür genommen hatte. Er musste es mir gestohlen haben, doch ich hatte nie etwas bemerkt. Vielleicht war er auch auf irgendeine Art kriminell geworden – ein schrecklicher, |84| kaum vorstellbarer Gedanke. Eric war immer ein ruhiger, freundlicher Junge gewesen, und soweit ich wusste, hatte er mich nie zuvor belogen.
Hätte ich doch nur genauer hingesehen, besser zugehört! Wir Eltern sehen in unseren Kindern immer noch die kleinen schutzbedürftigen Wesen, die sie noch vor zwei oder drei Jahren gewesen sind, und merken gar nicht, wie weit sie sich schon von uns entfernt haben. Doch nun war es für Reue zu spät. Ich wusste nicht, ob ich noch eine Chance hatte, meinen Fehler wiedergutzumachen. Auf jeden Fall halfen Herumsitzen und Jammern nicht.
Ich ergriff die Maus und versuchte herauszufinden, wie das Spiel funktionierte. Es war eigentlich sehr einfach. Wenn ich irgendwo auf den Bildschirm klickte, dann marschierte der Held dorthin. Klickte ich auf einen Blasenhalm, dann schlug er mit dem Schwert danach, durchtrennte ihn, und ich konnte sehen, wie der Halm emporschwebte und aus dem Bild entschwand.
Es war eine eigentümliche Erfahrung, den gefahrvollen Weg durch den Sumpf aus dieser distanzierten Schrägoben-Perspektive zu erleben. Der Held stapfte einfach durch den Morast, wobei jeder Schritt von einem realistischen schmatzenden Geräusch begleitet wurde. Das Vorwärtskommen war wesentlich leichter, als es in Erics Traumwelt gewesen war. Außerdem war ich dankbar, dass der technische Fortschritt noch nicht so weit gediehen war, dass ein Laptop Gerüche absondern konnte.
Von den quallenartigen Gebilden war in dem Spiel nichts zu sehen. Dafür bekam es mein griechischer Held bald mit riesigen Schildkröten, Krokodilen und Giftschlangen zu tun. Ich klickte wie wild auf die Gegner, und die Spielfigur drosch mit dem Schwert auf sie ein. Ein roter Balken am linken Bildschirmrand zeigte ihren Gesundheitszustand |85| an. Wenn ein Gegner meine Figur verletzte, wurde der Balken kürzer. Einmal, als sich der Held mit mehreren Riesenechsen schlug, sank er auf null, und die Spielfigur brach zusammen. Die Echsen verschwanden, dafür flatterte ein Pulk von schwarzen Vögeln herbei und ließ sich auf dem Leichnam nieder. Das Eingabefeld mit den drei Buttons erschien.
Ich fluchte und schlug mit der flachen Hand auf Erics Schreibtisch. Jetzt würde ich noch mal von vorn anfangen müssen! Dann sah ich auf die Uhr und erschrak. Es war fast sechs. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich mehr als zwei Stunden gespielt hatte.
Rasch rief ich mir ein Taxi und fuhr ins Krankenhaus. Es war schon halb sieben, als ich atemlos Erics Zimmer betrat. Er lag reglos wie immer auf seinem Bett. Wenn Emily zum verabredeten Zeitpunkt hier gewesen war, dann war sie bereits
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