Glashaus
baumelt. Als ich zweimal heftig hineinblase, fährt Mick zusammen, dreht sich um und blickt zu mir nach oben. Anfangs verwirrt, dann voller Wut. »Wieso hast du das gemacht?«, brüllt er. Gleich darauf ist hinter ihm, an der Eingangstür, ein lauter, dumpfer Schlag zu hören.
Hastig sehe ich mich im Obergeschoss um. Das große Schlafzimmer liegt links, genau wie bei uns. Im Gang stapelt sich schmutzige Wäsche, und ich erkenne den widerlich süßlichen Geruch von verstopften Abflussrohren, der einen anderen, schwerer einzuordnenden Gestank überlagert. Als ich ins Schlafzimmer stürme und mit der Hand zum Lichtschalter fahre, höre ich ein Stöhnen.
Von unten dringt Lärm herauf: das Splittern von Holz und unverständliches Wutgebrüll. Doch ich achte nicht darauf, denn meine ganze Aufmerksamkeit gilt dem Bett in diesem Zimmer. Die meisten Möbel sind kaputt; sie sehen so aus, als hätte sie jemand absichtlich umgeworfen oder mit der Axt bearbeitet. Nur das Bett steht noch, ist aber bis zur Matratze abgezogen und stinkt nach Exkrementen und altem Urin. Überall summen Fliegen herum. Auf dem Bett liegt jemand: Cass, nackt. Ihre Arme sind an das Kopfteil des Bettes gefesselt, die Beine links und rechts an den Bettrahmen. Cass ist völlig eingekotet und hat Blutergüsse an den Oberschenkeln. Ihr Gesicht sieht so aus, als wäre sie mehrmals verprügelt worden. Das Stöhnen, das aus ihrem Mund dringt, klingt so, als könnte ihr Kiefer gebrochen sein.
»Hier oben«, brülle ich durch die offene Tür und wende mich wieder Cass zu. »Wir holen dich hier raus, meine Liebe.« Gleich darauf beuge ich mich über sie und ziehe das Schnappmesser heraus, das ich für den Notfall mitgebracht habe. »Das hier wird wehtun.« Während ich den Strick, mit dem ihre Arme gefesselt sind, mit dem Messer bearbeite, wimmert sie. Bei jeder ihrer Bewegungen steigt ein entsetzlicher Gestank aus der verkrusteten Matratze auf. Mir fällt auf, dass sie nicht nur mager, sondern halb verhungert aussieht. An den Armen hat sie schwärende Wunden, grellrote, durch die Fesseln ausgelöste Einschnitte.
Erneut ist von unten Lärm zu hören: dumpfe Schläge, danach ein wütender Schrei. Als sich das letzte Strickende von ihren Armen löst, steigert sich Cass’ Wimmern zu lautem Stöhnen, das noch heftiger wird, als sie kraftlos die Arme herumdreht. Ihre Hände sind so aufgedunsen und wirken so gequetscht, dass ich Schlimmes befürchte, doch jetzt habe ich keine Zeit, mich gründlicher damit zu befassen. Während ich mir den unteren Bettrahmen vornehme und damit beginne, den Strick um ihre rechte Ferse durchzusäbeln, schreit sie auf. Jetzt sehe ich, was Mick getan hat, um Cass die Fluchtversuche ein für alle Mal auszutreiben , wie er es genannt hat. Es klebt Blut am Strick, denn er hat ihre Fersensehne durchtrennt. Unkontrolliert schlackert ihr Fuß hin und her. Jedes Mal, wenn er sich bewegt, versucht sie vor Schmerzen zu schreien, doch aus ihrem gebrochenen Kiefer dringt nur ein Gurgeln. Wie hat Mick sich ausgedrückt? Man kann jede Menge Punkte sammeln, wenn man Kinder bekommt. In mir steigt solche Wut auf, dass ich losbrülle. Jemand taucht an der Tür auf. Sam. Sam mit einer blutenden Verletzung an der Wange und halb zugeschwollenem Auge. Plötzlich bin ich wieder ganz da und gewinne die Selbstbeherrschung zurück. »Hier drüben«, sage ich angespannt. »Hilf mir, ihr Bein ruhig zu stellen …«
Während wir nach unten gehen, ruft Greg bei einer mir nicht bekannten Nummer an und bestellt einen Krankenwagen. Bis auf Greg und Tammy wirken alle leicht lädiert. Sam wird morgen ein wunderschönes Veilchen haben. Fer hat einen Tritt in die Rippen abbekommen, als er, gemeinsam mit Sam und Greg, Mick außer Gefecht gesetzt hat. Danach haben sie Mick erst einmal auf den Fußboden im Wintergarten verfrachtet. Bis auf Weiteres, denn wir wissen noch nicht, wie wir mit ihm verfahren sollen. Im tiefsten Herzen tut es mir schon leid, dass ich mich bislang gegen die Lynchjustiz ausgesprochen habe. Doch das Wichtigste ist jetzt, Cass in Sicherheit zu bringen. Später werden wir noch jede Menge Zeit haben, uns Mick zu widmen, sofern er im Zustand der Bewusstlosigkeit nicht an seiner eigenen Kotze erstickt - was uns allen die Sache erleichtern würde.
»Wie geht’s ihr?«, fragt Tammy. »Ich gehe wohl besser nach …«
»Nein.« Ich verstelle ihr den Weg. »Vertrau mir. Wir müssen sie … ins Krankenhaus bringen. Häusliche Pflege reicht da nicht.«
»Wie
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