Glashaus
brauchen seine Aussage.“
Der Arzt schüttelte den Kopf.
„ Vergessen Sie es.“
Boyle hatte genug.
„ Hören Sie – ich hatte heute Nacht schon einen Toten. Das hier ist Nummer zwei. Und ich hab keine Lust auf noch einen. Irgendwo in der Stadt läuft ein Irrer rum, der Leute erschießt. Und unser Taubstummer hier ist der Einzige, der ihn vielleicht beschreiben kann. Also tun Sie was und wecken sie mir meinen Zeugen gefälligst wieder auf.“
Der Arzt lehnte ab.
„ Ich werde nichts tun, was den Mann in Gefahr bringt.“
Der Typ meinte, was er sagte. Doch nur ein paar Meter weiter lag der zweite tote Junge dieser Nacht. Und irgendwo draußen war ein Kerl unterwegs, der wahrscheinlich solange weiter töten würde, bis ihn irgendwer stoppte.
Boyle trat an den Tisch mit der Arzttasche und öffnete sie. Das Einzige, was er über Schockzustände wirklich sicher wusste war, dass sie irgendetwas mit dem Blutkreislauf zu tun hatten. Es musste irgendein Mittel geben, das Reiches Kreislauf so sehr ankurbelte, dass er wieder ansprechbar wurde.
Im Koffer entdeckte Boyle sterile Spritzen und Adrenalin. Boyle zog sie hervor, befreite sie von ihrer Verpackung, stach dann die feine Nadel in den Deckel einer Adrenalineinheit.
Der Arzt wurde bleich. Und versuchte vergeblich Boyle daran zu hindern.
„ Sie bringen ihn ja um.“
Boyle zog in aller Ruhe die Spritze auf.
„ Wie viele Einheiten? Zwei? Bloß eine?“
Panik im Blick des Arztes. Er stieß Boyle beiseite und wühlte selbst wild in seiner Tasche.
„ Bitte keinen Psychopharmakamist, Doktor. Ich brauch ihn wach, nicht bedröhnt.“
„ Haffner hat sich von Stiller eine Liste geben lassen: Sämtliche Irre der Stadt, plus den üblichen Gangstergrößen und ein paar Kanaken, die das LKA für Terroristen hält.“
Tommy beugte sich über den toten Jungen. Kam wieder hoch und sah Boyle an.
„ Wenn Du mich fragst: Bockmist. Weder das hier, noch Stillers Junge geht auf das Konto von irgend nem Irren. Und von Terroristen schon gar nicht. Die stehen nur auf den ganz großen Bums“
So in etwa sah Boyle das auch.
„ Haben die Befragungen was gebracht?“
„ Nein. Keiner hat was gesehen. Keiner hat was gehört. Das reinste Neapel. Alles was Haffner hat, ist ein Hinweis auf einen verbeulten Toyota den irgendeine Oma drei Häuser weiter angeblich gesehen haben will.“
Boyle stieg über das rot-weiße Absperrband und trat an einen der Kriminaltechniker heran.
„ Habt ihr schon irgendwas für mich?“
Der Techniker wies auf einen seiner Kollegen, der gerade dabei war zwei Patronenhülsen einzutüten.
„ War ne sieben fünfundsechziger. Macht nicht viel Dreck, ist nicht laut und haut auf kurze Entfernungen genauso rein wie was Größeres.“
Wieder ein KLICK in Boyles Hirn: Kurze Entfernung. Ihr Killer mochte es direkt. Die meisten Leute, denen er einen Mord zutraute, hätten es umgekehrt gemacht. Seinem Opfer beim Sterben zuzusehen erforderte eine ganz SPEZIELLE Sorte Mut.
Es sei denn –—
„ Was ist mit dem Wagen?“
Der Mann machte eine Geste Richtung Fenster
„ Da sind schon Leute von uns dran. Steht draußen im Hof.“
Graf ging sich einen Kaffee aus dem Automaten im Flur ziehen. Boyle folgte ihm.
In seinem Kopf: Es sei denn– was?
„ Mir auch einen.“
Tommy ließ eine zweite Münze in den Schlitz klimpern.
„ Das kann kein Zufall gewesen sein.“
Boyle schlürfte Kaffee. Er hätte längst mit Teddy reden sollen. Er hätte längst nach Bellinis Ergebnissen fragen sollen. Stattdessen hing er hier herum und tat genau das, was Stiller von ihm erwartete: Er suchte einen Mörder.
Draußen rollte Haffners dunkelblauer Passat in den Hof. Und Haffner war nicht allein: Mit ihm stiegen auch seine beiden Schatten Stolze und Geist aus dem Wagen.
Der Ärger, mit dem Boyle gerechnet hatte, sobald er Haffners Wagen im Hof auftauchen sah, ließ nicht lange auf sich warten.
Brüsk forderte Haffner Boyle auf, ihn über die Geschehnisse zu informieren. Befahl ihm dann beinah noch im selben Satz mit Tommy Graf zusammen ins Präsidium zurückzufahren um dort einen Bericht zu tippen und auf weitere Anweisungen zu warten.
Stolze grinste. Sein Pendant Geist tat so als ginge ihn nichts irgendetwas an.
Boyle hatte nur eine Chance solange er Stiller UND Haffner immer um einen Schritt voraus war.
Daher: Lügen – und zwar auf Teufel komm raus. Und doch unter den Lügen, die er Haffner auftischte, immer wieder dieselbe Frage: Es sei denn – was?
Antwort:
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