Glashaus
Es sei denn - das Ganze war etwas Persönliches . Mit genug Hass als Antrieb machte es nicht nur nichts aus seinem Opfer beim Schießen ins Gesicht zu sehen - dann war es TEIL der ÜBUNG.
„ Der Zeuge wirkte durcheinander. War kaum ansprechbar als ich ihn antraf. Er ist derzeit auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Schock.“
Haffner schluckte es. Stolze trippelte zum Klo. Geist zog sich einen Kaffee.
Erst mal weg hier. Alles Weitere würde sich dann schon finden.
Tommy lenkte den Opel an den Streifenwagen vorbei auf die Straße.
„ Wohin? Präsidium?“
Boyle war in der knappen Beschreibung versunken, mit der Reiche nach der Spritze, die der Arzt ihm verpasst hatte, schließlich herausgerückt war: Ein Kanake, um die vierzig, dunkle Haare, VIELLEICHT dunkle Augen, trägt MÖGLICHERWEISE einen dunkelblauen Mantel.
Zitat des Beamten Bormann: „Der Typ stand hinter der Tür vom Duschraum und hat um Hilfe geschrieen. Der wartet seelenruhig hinter der Tür und ruft um HILFE.“
KLICK: der Kerl war kreativ. Der Kerl hatte eine erschreckend exakte Fähigkeit sich in andere HINEIN ZU VERSETZTEN.
Immer schon teilte Boyle sich seine Kundschaft in vier Gruppen ein: Idioten, blöde Schweine, arme Schweine und Kriminelle. Wobei sich die Kriminellen wiederum in drei weitere Gruppen aufspalteten: Gelegenheitskriminelle, unabhängige Berufskriminelle und Gangster. Die Gangster bildeten die absolute Spitze. Doch selbst unter denen gab es höchstens zwei oder drei Prozent, wie Premuda, Halif Kahn oder Teddy Amin, die kein Bulle je zu fassen kriegte.
Und trotzdem sagte Boyles Instinkt, dass ihr Killer irgendwie in keine der üblichen Kategorien passte. Vielleicht war er eine extrem seltene Ausnahme - ein Amateur, mit Talent und einfach jeder Menge Glück.
Tommy stoppte den Opel an einer Ampel.
„ Du fährst ins Präsidium. Ich steig hinterm Tunnel aus.“
Doch da war noch etwas anderes, das je länger er über den Kanakenkiller nachdachte, aus seiner Erinnerung aufstieg. Ein einziges Mal in all den Jahren als Polizist war vor Boyle zwischen der üblichen Tristesse und Hilflosigkeit auch blanker Horror aufgeblitzt.
„ Erinnerst du dich an Pepeu?“
Tommy blickte stur geradeaus auf die Straße.
„ Hab nur davon gehört. Dieser Sektenspinner, der dann im Knast umgekommen ist?“
Boyle nickte versonnen.
„ So ähnlich. Er hatte eine Horde Straßenkids, die er auf den Strich schickte. Die meisten waren illegale Schwarze, Thais und Pakistanis. Er hat `ne Menge Geld damit gemacht. Aus dem ganzen Land sind sie zu ihm gekommen. Sein Credo war: Weiß ist immer Scheiß und Farbe immer beautiful. Sein Hauptquartier war `n Plattenbau in Harburg. Alles voller Hühnerblut und Voodoo-Mist als wir es gestürmt haben. Ich hab ihm damals die Handschellen umgelegt. Die Grünen und das SEK waren ihm egal. Ich nicht. Ich war Schwarz. Er hat mich stundenlang mit seinem Voodoozeug belabert. Später in der Zelle haben sie dann ne Puppe mit Nadeln drin gefunden, die angeblich mich darstellen sollte. Für ihn war ich der mieseste nur denkbare Abschaum, denn ich war Schwarz und hielt es freiwillig mit den Bullen.“
Tommy hörte nur mit einem Ohr hin und kachelte mit dem klapprigen Opel knapp über Geschwindigkeitsbegrenzung Richtung City.
„ Schon `n herbes Schicksal, Boyle. Du hast mein aufrichtig empfundenes Mitgefühl.“
Tommy griff nach der Rundumleuchte auf dem Rücksitz, ließ das Fenster heruntersurren, pappte das Teil aufs Dach des Opels, stöpselte den Stecker in den Zigarettenanzünder und schaltete es ein.
Boyle steckte sich eine Kippe an und nuckelte eine Weile stumm daran herum.
Diese beiden toten Jungen waren weiß, aber ihr Killer, Reiches Aussage zufolge, ein Kanake - was immer das auch konkret bedeuten mochte.
War es vielleicht das: Weiß und reich, gegen arm und Kanake? Hatte da irgendein talentierter Irrer Pepeus Credo wieder aus der Mottenkiste geholt?
Eine unbestimmte Beklemmung legte sich um Boyles Hirn.
„ Was ist, wenn er sie deswegen mehr oder weniger zufällig auswählt, weil es ihm eigentlich gar nicht um diese Jungen oder ihre Eltern selbst geht, sondern bloß darum, dass sie weiß und reich sind?“
Tommy nahm sich ungewöhnlich viel Zeit für seine Antwort.
„ So `ne Art Rassending?“
„ Ja.“
Tommy ging allmählich mit dem Gas runter.
„ Na ja – eigentlich unwahrscheinlich, oder? Aber wenn doch: Dann haben wir `n richtiges Problem.“
Telefonzellen wurden in dieser Nacht für Boyle
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