Glashaus
Ihrer Geschichte - keiner pisst in dieser Stadt einen Polizeipräsidenten nur auf die Behauptungen eines kriminellen Polizisten an. Der Tote hier geht, wie wir alle wissen, auf das Konto des Kanakenkillers, hinter dem Sie in diesem Moment eigentlich her sein sollten.“
Früher oder später Haffner hier zu sehen hatte Boyle erwartet, dass sich jedoch Stiller aus seinem Bau herausgewagt hatte war ebenso ungewöhnlich, wie das Fehlen von Tommy Graf, der den Dienstvorschriften entsprechend, als Teil des Bereitschaftsteams, mit Haffner zusammen hätte auftauchen sollen.
Vielleicht wäre Halif Kahn in seinen besten Zeiten durchaus fähig dazu gewesen, so etwas wie die Sauerei in dem Kühlhaus anzurichten. Möglicherweise - so man ihn nur hart genug reizte - auch Premuda. Doch Premuda hatte, soweit Boyle das beurteilen konnte, derzeit so ganz und gar nichts davon, Halif irgendwie in den Abgrund zu stoßen. Und ganz nebenbei, wohl auch nicht die Mittel in Halifs Haus einzudringen, um hier die Leiche irgendeines Unbekannten wie eine Rinderhälfte auf einen Haken ins Kühlhaus zu hängen.
WER also hatte den Kerl da drin umgebracht? Und WIESO. WER war er überhaupt. Und WEN hatte Stiller in der Hand, der womöglich zu solch einer Schweinerei fähig war? WO zur Hölle steckte Tommy Graf? Und WO WAR HALIF KAHN SELBST?
Beide Männer, sahen feindselig schweigend dem Trupp der Spurensicherung dabei zu, wie er damit begann Kühlhaus, Hof, Durchfahrt und Türen mit rot-weißem Absperrungsband abzusichern.
„ Hauptkommissar Lewis Boyle?“
Boyle sah sich nach dem Rufer um. Ein Uniformierter, der bei seinem Streifenwagen das Handstück des Funkgerätes in die Höhe hielt.
„ Boyle? BOYLEEE?“
Boyle ließ die Zigarette zu Boden fallen und wandte sich ohne irgendeine weitere Geste von Stiller ab.
„ Ich kann Sie immer noch verhaften lassen, Boyle. Jederzeit.“
Boyle wandte sich zu Stiller um.
„ Eigentlich dürften Sie nicht mal hier sein. Eigentlich hätten Sie seit Stunden schon suspendiert sein sollen. Wenn Sie mich verhaften lassen wollen – nur zu, tun Sie es.“
Boyles Blick kroch tiefer in Stillers blaugraue Augen. Stieß darin jedoch auf weiter nichts als einen eigenartig dunklen, saugenden Kern, dessen Härte ihn zu gleichen Teilen faszinierte wie abstieß.
Wieder rief der Uniformierte nach Hauptkommissar Lewis Boyle.
Boyle löste sich endlich von Stiller und antwortete ihm.
„ Die Zentrale. Eine Nachricht für Sie.“
Keiner, der Boyle auf den zehn Schritten zum Streifenwagen aufgehalten hätte.
„ Hauptkommissar Boyle.“
„ Zentrale. Ich habe ein Gespräch für Sie. Scheint wichtig zu sein. Geht um Informationen zu dem Kanakenkiller. Die Anruferin besteht darauf mit Ihnen persönlich zu sprechen. Nehmen Sie das Gespräch an?“
„ Ja.“
Klicken. Knistern. Rauschen.
Dann eine beherrschte weibliche Stimme.
„ Hauptkommissar Boyle? Lewis Boyle?
„ Höchstpersönlich. Was kann ich für Sie tun?“
„ Margaret Stiller.“
Pulsierende Helligkeit, die Boyles Sinne gefangen nahm, dann in einer Slow–Motion-Explosion zerplatzte und dabei tausende blitzende Sterne hinterließ, die sich, wie auch immer, in einen Schwarm fettig satt umhersirrender Insekten verwandelten, der vergeblich an die Ränder von Boyles Schädel drängte.
„ Ich weiß, was mein Mann heute Abend in unserem Wohnzimmer mit Ihnen besprochen hat. Was immer er Ihnen erzählt hat. Glauben Sie ihm nicht. Er lügt. Ich weiß, wer meinen Sohn getötet hat. Und wieso.“
Die Welle des Insektenschwarms brach sich ein letztes Mal an Boyles Schädelwand, ebbte ab – hinterließ weich bläuliche Schlieren, die vor seinen Augen auseinander flossen und schließlich mit einem gurgelnden Geräusch, wie Wasser in einem Gully verschwanden.
„ Mein Sohn hat mit anderen zusammen eine junge Frau vergewaltigt. Ihr Vater hat meinen Sohn erschossen. Es ist … so ungerecht. Ich konnte ihn … nicht … mehr von seinem Weg abbringen … in letzter Zeit war er wie sein VATER. Ich … ich ekele mich so vor mir selbst … ich war SEINE MUTTER.“
3 Uhr 03. Er hatte die Notbremse gezogen, seine Flinte wieder aufgesammelt und war aus dem Zug auf das Gleisbett herabgestolpert. Das Band des beleuchteten Zuges, das sich mit jedem Schritt mehr und mehr in der Ferne verlor.
In diesem Land war man tüchtig, nicht couragiert. Es würde dauern, bis irgendwer die Polizei rief, die dann schließlich noch einige Zeit brauchen würde, bis hier heraus ins
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