Glashaus
Nirgendwo zu kommen.
Er würde genug Zeit haben, zu tun, was er zu tun hatte. Und um das, was danach kam würde er sich eben kümmern, wenn es soweit war.
Younas erinnerte sich an die Straße die er jetzt herab lief.
Irgendwann im letzten Jahr hatte ihn Heiermann einmal hergefahren, um ihn die gesprungenen Fliesen von den Wänden eines Swimmingpools abschlagen zu lassen.
Es konnte nicht mehr weit sein.
„ Er ist `n Dealer. Nur die ganz großen Dinger, verstehst Du? Einer seiner Kunden ist Immobilienmakler oder so was. Er baut eine Reihenhaussiedlung in Kulmhorst. Manchmal gibt er ihm die Schlüssel zu den Musterhäusern. Die sind vollständig eingerichtet, mit Betten und Küche und allem. Da geht er mit seiner Freundin hin zum poppen. Ihr Alter ist Psychiater, der Chef der Irrenanstalt. Er hat was gegen ihn. Deswegen können sie nicht zu ihr gehen. Wir haben immer unsere Witze drüber gemacht. Das ist doch krank. Wer poppt schon eine, die in `ner Irrenanstalt aufgewachsen ist?“
Younas hörte die Worte des ersten Jungen noch immer genauso, als stünde er gerade jetzt in diesem Moment vor ihm. Als sähe der ihn immer noch mit dieser Mischung aus Unterwürfigkeit Angst und ungläubigem Staunen an.
Splitter: Der Schaffner, vorhin in der S-Bahn. Sein Blick, als er Younas Schrotflinte auf dem Metallboden realisierte. Als sei seine Welt in Stücke gegangen. Wie er, kurz bevor Younas die Pistole aus der Manteltasche hatte, noch danach zu greifen versucht hatte. Dann, Younas Pistolenlauf vorm Gesicht, mit erhobenen Armen still inmitten des Waggons stehen blieb.
Das Gesicht der Frau mit dem Sommermantel und den High Heels, aus dem all die Zeit nichts weiter als erstaunte Verachtung herauszulesen gewesen war.
Diese Straße - so still und friedlich. Jahrelang hatte er davon geträumt eines Tages in ein Haus wie diese hier einzuziehen und sich damit selbst zu beweisen, dass er stark genug war, sich selbst und seiner Familie die Art Leben zu ermöglichen, die ihnen zustand.
Vorbei.
Der Augenblick, als er die Notbremse des S-Bahn-Waggons zog. Wie der Schaffner und die Frau im Sommermantel vom Kreischen der Bremsen überrascht, und dem plötzlichen Ruck, mit dem die Bremsen zu greifen begonnen, umhergeschleudert worden waren.
Er selbst, wie er einen endlosen Augenblick vergeblich an der Türverriegelung riss.
3 Uhr 10 Boyle schüttelte eine Zigarette aus seiner Schachtel und reichte sie dem Notarzt, der einige Minuten nach Haffner und Stiller eingetroffen war. Der Notarzt steckte die Zigarette zwischen die Lippen. Seine Hände schlossen sich leise zitternd um die Hand, mit der ihm Boyle Feuer gab.
„ Danke.“
Boyle nickte dem bleichen Mann zu.
„ Woran ist er gestorben?“
Ein tiefer Zug von der Zigarette.
„ Eigentlich habe ich ja schon vor Jahren aufgehört. Ungesund das Zeug. Aber … das da drin. Mein Gott. So was hab ich noch nie gesehen.“
Ein weiterer Zug, dann warf der Mann die Zigarette zu Boden und trat sie mit einer heftigen Drehung seines Fußes aus.
„ Woran er gestorben ist? Ich bin nicht sicher. Aber letztlich, na ja, man könnte sagen, er ist geschächtet worden. Wie ein Stück Vieh. Falls Ihnen das irgendwas sagt.“
Boyle versuchte vergeblich einzuordnen was er gerade gehört hatte.
„ Geschächtet, so wie man koscher ein Stück Vieh schlachtet? Meinen Sie das?“
Der Blick des Arztes fiel in sich zusammen als hätte irgendwer irgendwo in seiner Seele einen Stöpsel gezogen.
„ So wie es die Juden machen … und manche Moslems, ja.“
Boyle, der dem Mann lange in die Augen sah. Es waren dunkle Augen – klar, schwarz und aufrichtig.
„ Richtig geraten, ich bin Moslem. Kriegen Sie ihn. Buchten Sie das Schwein ein. Nicht nur weil er diesen Mann da drin getötet hat. Sondern weil er es auf DIESE Weise getan hat.“
Boyle öffnete die Tür des Vans. Teddy Amin hockte vor einem Klapptisch, auf dem die GLOCK lag. Ihm gegenüber Bulldogge Haffner.
„ Es ist vorbei, Teddy, wir gehen.“
Haffner fuhr herum. Die reine kalte Wut im Blick. Bulldogge, wie er leibte und lebte.
„ Leck mich am Arsch, Bulldogge.“
Boyle griff die GLOCK vom Klapptisch. In Teddy Amins Augen blitzte ein Funkeln auf, während er sich schnell und sicher hinter dem Klapptisch hervor wand.
„ Du bist erledigt, Boyle. Wenn wir uns das nächste Mal sehen hab ich `n Haftbefehl für Dich dabei.“
Boyle gönnte Haffners Zorn noch nicht einmal die Befriedigung eines letzten Blickes, bevor er hinter Teddy die
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