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Glashaus

Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gray
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Blut, die dabei von Kopf und Brustkorb der Gestalt aus über ihre Hüften und Beine auf den Boden des Kühlhauses geflossen waren und nun dort eine rötlich kristalline Lache bildeten. Und das Wenige, was von dem unnatürlich weiß verfärbten Gesicht noch übrig war, war von Eiskristallen überzogen, die im Neonlicht wie tausende winziger Diamanten schillerten.
    Etwas an der Blutlache zu Füßen der Gestalt zog Boyles Aufmerksamkeit unwiderstehlich an.
    Er überwand seinen Ekel und trat näher an jenes merkwürdige rötlich braune Gebilde heran. Er beugte sich herab, aber fuhr gleich darauf erschrocken wieder zurück.
    „ Was?“
    Teddy starrte Boyle verwirrt an.
    „ Das da unten ist sein Herz .“
    Teddy blickte auf die Leiche, als könne er entweder nicht glauben, was er da sah oder ihn ein innerer Drang ihn dazu trieb, sich jedes noch so winzige Detail ihres Anblicks in die Erinnerung schneiden.
    „ Wer tut so was?“
    Doch auch in Boyles Blick nichts als Ratlosigkeit. Schließlich gelang es ihm ein zweites Mal seine Abscheu zu überwinden. Erneut trat er an die Leiche heran und legte seine Hand auf das, was von ihr noch übrig war. Trotz der Eiskristalle war unter der erstarrten, geisterhaft hellen Haut ein allerletzter Rest Wärme zu spüren.
    „ Er ist noch warm . Jede Wette, dass er vor weniger als zwei Stunden noch gelebt hat.“
    Erst jetzt gelang es Teddy seine Blicke von dem am Boden drapiertem Herz zu lösen.
    Boyle schloss die Augen und suchte sein Heil in der einzigen Sicherheit, die ihm angesichts der verstümmelter Leiche vor ihm geblieben war: professionelle Logik.
    „ Er war allein“, flüsterte er, mehr an sich selbst, als Teddy Amin gewandt. „Er muss seinen Killer hier getroffen haben. Was der mit ihm angestellt hat, dauert `ne Weile. Der Kerl da muss geschrieen und sich gewehrt haben. Und trotzdem hat der Killer diese Schweinerei bis zum bitteren Ende durchgezogen. So was geht nicht allein. Das waren mehrere. Mindestens zwei. Vielleicht auch drei oder vier. Und sie hatten sogar noch Zeit hinterher grob sauber zu machen.“
    Teddy legte die Hand vor Augen und begann sich leise hin und her wiegend unverständliche Worte in einer harten kehligen Sprache zu murmeln.
    Boyle sah für einen Augenblick wieder Teddys toten Vater vor sich. Ganz so, wie es sein Sohn gerade tat, hatte er während der Beerdigung eines seiner Freunde die Hand vor Augen gehalten und sich unverständliche Worte murmelnd leise hin und her gewiegt.
    Sirenengeheul zerriss draußen die Nacht. Autoreifen, die scharf abgebremst über Asphalt schlitterten.
    Vielleicht hatte der Tote am Fleischerhaken den Respekt verdient, den Teddy ihm mit seinem Totengebet bezeugte. Doch Gebete entsprachen einfach nicht Boyles Charakter. Dazu war er trotz allem immer noch zu sehr Kind dieser Stadt, die sich schlicht weigerte an den Tod zu glauben und jederzeit und mit jeder Faser ihres überheblichen Herzens das Leben feierte.

    2 Uhr 40 Younas sah im trüben Licht, das von einer Straßenlampe bis hierher an den Rand des Brachlands fiel, an sich herab. Schuhe, Hosensaum und Mantel schimmerten fleckig feucht von Erde und Lehm.
    Er legte die Schrotflinte ab und wischte mit dem Taschentuch so gut es ging, die Flecke von Schuhen und Stoff.
    Dann schlüpfte er aus dem Mantel, hängte sich die Flinte um die Schulter und streifte den Mantel wieder über. Solange er sich nirgendwo hinsetzte blieb sie unter dem Mantel verborgen.
    Er brauchte keine zehn Minuten für den Weg bis zur S–Bahnstation, die mit ihren Lichtern, dem Glas und Stahl wie ein mitten im Nirgendwo gelandetes Ufo wirkte.
    Ein junger Mann in Jeans, Lederjacken und glänzenden Schuhen wartete am Bahnsteig, als Younas den Bahnhof erreichte. Gleich nachdem er sich dem Ticketautomaten zugewandt hatte kam noch eine Frau in einem Sommermantel und hohen roten Schuhen hinzu, die steif den Bahnsteig auf und ab zu laufen begann.
    Younas betätigte die Tasten des Automaten. Ein Schriftzug wies ihn darauf hin, dass er sein Ticket bitte passend zu zahlen habe.
    Younas Finger fuhren in seine Tasche und suchten vergeblich nach Kleingeld. Sein Verdacht bestätigte sich: Die wenigen Münzen reichten nicht aus, das Ticket zu zahlen. Ärgerlich, aber er konnte es auch beim Schaffner in der Bahn kaufen.
    Die Blicke eines der beiden jungen Männer streiften ihn, verloren sich dann aber auf der tickernden runden Uhr über Younas Kopf.
    Younas zog sich vom Automaten in den Schatten eines Stützpfeilers

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