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Glasklar

Glasklar

Titel: Glasklar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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oberflächlichen Informationen bezogen. »Wir alle hier im Raum sind Ihrer Meinung«, fuhr der Mann fort und musterte Linkohr, der ihm offenbar nicht ganz geheuer erschien. »Aber jetzt frage ich Sie allen Ernstes: Was schlagen Sie vor? Herr Heidenreich – er möge mir verzeihen, Gott habe ihn selig – hat hier auch große Reden geschwungen. Wir müssen heute zu einem Ergebnis kommen, zu einer Stellungnahme, zu einem Kompromiss.«
    »Kompromisse kann es beim Schutz der Natur nicht geben.«
    Schloz fuhr dazwischen. »Wir sind aber hier, um unsere gegensätzlichen Meinungen in eine Stellungnahme einfließen zu lassen.«
    Lechner winkte ab. »Ich sag nichts weiter als meine Meinung. Und ich prophezeie Ihnen hier und heute: Egal, was geschieht und wie das ausgeht: Diese Sache hat üble Folgen.«
    In diesem Moment betrat Pettrich wieder den Raum. Er war ziemlich lange weg gewesen, stellte Linkohr für sich fest. Ein bisschen zu lange für einen Toilettengang.
    Der Mann mit dem Strickpulli verfolgte inzwischen mit hochrotem Kopf, wie Lechner jedes noch so gut gemeinte Argument des Vorsitzenden entkräftete. Schloz war sichtlich bemüht, einen Kompromiss zu erzielen – einen Kompromiss, den er später schriftlich formulieren und dem Regierungspräsidium übermitteln würde. So, wie er es immer tat, wenn sie sich im Arbeitskreis wenigstens mehrheitlich und damit demokratisch einig geworden waren. Je länger Linkohr diesen mühsamen Prozess der Meinungsbildung verfolgte, desto größer wurde sein Respekt vor dem Vorsitzenden, der sich offenbar detailgenau auf die Sitzung vorbereitet hatte und sich durch nichts provozieren ließ. Ein Mann des Ausgleichs, dachte Linkohr und unterdrückte ein Gähnen – vor allem aber den Gedanken an Mariella, die jetzt daheimsaß und hoffentlich ähnliche Seelenqualen erlitt wie er. Sie mussten sich morgen wieder sehen. Wenn er an den heutigen Mittag dachte, droben im Eichert bei der Klinik im Gebüsch, dann war er über sich selbst erstaunt, wie hemmungslos er am helllichten Tag gewesen war. Würde er dies jemandem erzählen, müsste er damit rechnen, als Angeber abgetan zu werden. Aber natürlich würde er mit niemandem darüber reden. Niemals.
    Kurz nach zehn, als es draußen bereits dunkel geworden war, zog Lechner, wie es Linkohr schien, seinen letzten Joker gegen das Tunnelprojekt aus dem Ärmel: »Hat die Bahn AG eigentlich jemals gesagt, wie sie die Sicherheit in diesem Loch sicherstellen will? Sind Rettungssysteme vorgesehen? Was geschieht, wenn sich eine Katastrophe vom Ausmaß Eschedes tief in der Alb ereignet?« Alle wussten, was gemeint war: Eschede, der Ort, an dem am 3. Juni 1998 ein ICE entgleist war und 101 Tote zu beklagen gewesen waren. »Hat man berechnet, welche enormen Luftpakete ein ICE vor sich herschiebt, wenn er mit 200 oder wie viel km/h auch immer die Brücke über den Einschnitt zwischen Mühlhausen und Wiesensteig erreicht? Wie wirkt sich dieser Luftstrom auf den Schall aus, wie auf das Kleinklima? Überhaupt: Zwischen Tunneleingang im klimatisch begünstigten Voralbgebiet und diesem Taleinschnitt liegen 330 Höhenmeter, was zu einem permanenten Luftaustausch führt.«
    Schloz wirkte fahrig. Auch die Gesichter der meisten Mitglieder des Arbeitskreises ließen Ermüdungserscheinungen erkennen – möglicherweise auch durch den guten Wein verursacht. Nur der Strickpulliträger rutschte immer wieder nervös auf seinem Stuhl hin und her.
    »Jetzt reicht es!«, rief plötzlich einer aus der Runde in den Raum, was den Langhaarigen dazu bewog, auch mal den Kopf zu drehen.
    »Ich will Ihnen abschließend noch eines sagen«, gab sich Lechner unbeeindruckt, »Sie sind für den Natur- und Umweltschutz zuständig. Sie mokieren sich über Schweineställe im Außenbereich, über Carports in Wohngebieten, Sie stimmen nur zögerlich der Umgehungsstraße drüben im Filstal zu, dieser Bundesstraße 10 – und hier …«, er deutete wieder auf die Leinwand, wohin noch immer die Folie mit dem Tunnelverlauf projiziert wurde, »hier knicken Sie ein, weil es ja die ach so umweltfreundliche Bahn ist, die hier die Landschaft verhunzt.«
    Verärgertes Gemurmel erfüllte den Raum. Einige winkten ab und prosteten sich zu, als wollten sie damit zum Ausdruck bringen, jetzt in Ruhe gelassen werden zu wollen.
    »Dass die Bahn mit Strom fährt, der aus Kohle- und sogar Kernkraftwerken kommt, das wird verdrängt, weil man es ja nicht sieht. Denn die Schadstoffe werden nicht hier in die

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